Other Fiction Eschstruth, Nataly von: Am Ziel. V1 [German] 24.12.2025

[brucewelch]

Zu Weihnachten soll es ja etwas Besonderes sein, und wenigstens die Freundinnen und Freunde der Eschstruth'schen Muse werden sich vielleicht freuen, wenn ihnen etwas Neues von der Königin des Adels- und Hofromans unter den virtuellen Weihnachtsbaum gelegt wird.

Spoiler:

Der Roman "Am Ziel" von Nataly von Eschstruth verdankt sich einer in der Populärkultur durchaus gängigen Strategie. Die Steigerung der Konsumtion eines Produkts wird ja bekanntlich u.a. dadurch erreicht, dass bestimmte Zielgruppen zusammengeführt werden, wie z.B. in der Pop-Musik durch Duette. In der Unterhaltungsliteratur kann man ähnliches bewirken, indem man Genres mischt. Die Eschstruth musste sich um 1900 auch Gedanken machen, dass ihre Bilanz nicht durch den Vormarsch des Berg- und Heimatromans getrübt wurde. So schuf sie - stets mit der Zeit gehend ("Vae Victis" belegt dies auf andere Weise ebenfalls) - einen Typus, der den Adels- und Hofroman mit dem Heimat- und Bergroman geschäftstüchtig kombinierte, wobei sie es an "Juvirallala", "Sakrisch!", "Bübli", Lederhosen, Dirndeln, Schuhplattlern etc. nicht fehlen lässt und ihr Verständnis von bayrischem Dialekt und Hochgebirgsfolklore umfänglich zum Besten gibt. Schon damit geht die Eschstruth deutlich über das hinaus, was Elisabeth Werner 1887 in "Sankt Michael" geboten hatte; wo diese nämlich trotz alpiner Kulisse das Personal, wie in ihren übrigen Werken, überwiegend aus Adligen, Offizieren und Künstlern rekrutierte, will die Eschstruth nun auch die Hauptfiguren aus beiden Sphären, aus dem Adel und dem ländlichen Milieu, ins Zentrum stellen — die Grafentochter Brunhild (!) und den Förstersohn Friedrich, genannt Friedel, später gar ›Siegfriedel‹ — und schließlich zusammenführen.
Da ist ein Blick auf das Cover hilfreich.
Die für den Buchdeckel verwendete Illustration bezieht sich auf das genau in der Mitte liegende Kapitel XV, das den Schlossbrand erzählt und in dem Friedel, der neue Siegfried, seine Brunhild aus der ›Feuerlohe‹ errettet. (Die Stelle ist in den ›Editorischen Hinweisen‹ [›Cover‹] verlinkt.) Dass der Brand übrigens durch den neumodischen »Amerikaner«, die vom Schlosseigentümer installierte Luftheizung, verursacht wurde, verweist einmal mehr auf die Modernisierung, an der die Autorin auf ihre Weise teilhaben will. Bände spricht aber auch, dass die (ziemlich aufdringlich beschworene) Brunhild-Siegfried-Analogie nur auf den ersten Teil der Sage bezogen ist, während die "Götterdämmerung", Siegfrieds Ermordung und Brunhilds Tod, natürlich ausgeblendet werden muss, — und das, obwohl Brunhild zum Wagner-Fan geworden ist, seit sie in Bayreuth eine "Siegfried"-Aufführung erlebte, und nun fortan in München keine Aufführung mehr versäumt (eine tapfere Brunhild eben…): Was nicht passt, wird kurzer Hand passend gemacht.
Im Übrigen muss man konstatieren, dass dieser Roman mit militaristischer und nationalistischer Propaganda, mit allerschlichtestem Vitalismus und natürlich mit Glorifizierung von Monarchie und Aristokratie randvoll gepökelt ist. Trotz einem Ausflug in den russisch-türkischen Krieg (1877/78) tritt die Handlung zudem oft auf der Stelle, und die Autorin hat diesmal sichtlich Mühe, ihre mit fahriger Feder geschriebenen 638 Seiten zu füllen.

Textgewinnung qua eigenen OCRs einer Archive.org-PDF-Fraktur-Vorlage &c. Cover, Frontispiz sowie die Schlussvignette entnahm ich dieser Vorlage; die Ausgabe (1913, 638 Seiten, EA: 1901) enthält Illustrationen von Hans W. Schmidt.

Ein
frohes Fest
sei allen Buchmachern,
Forums-Mitgliedern
und -Besuchern
gewünscht!

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