Gelegentlich eines Uploads von
Platons "Staat" erwähnte ich gewisse "
Magnetisierungsbemühungen um die deutsche Übersetzung eines bedeutenden umfangreichen staatsrechtlichen französischen Werkes". Hier ist es nun:
Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède de
Montesquieu (so sein vollständiger Name): "
De l’esprit des loix" (1748), "
Geist der Gesetze" (12 Bde, insg. 1608 Seiten), und zwar in der trefflichen und ungemein sachkundigen Übersetzung von
Adolf Ellissen (zuerst 1843; benutzt wurde die zweite, mit der ersten seitengleiche Auflage von 1848; 1854 erschien eine weitere dritte Auflage). Diese Übersetzung ist nicht nur
absolut vollständig, sondern sie bietet zusätzlich Destutt de Tracy’s Kommentar (1819) und Noten von Helvetius, Voltaire und Condorcet, ganz zu schweigen von den ausgezeichneten Ergänzungen, Korrekturen und Denkanstößen, die der Übersetzer hinzufügte. Dass auf diese Art ein Geflecht von untereinander als auch zu weiteren Textstellen wiederum bezüglichen
2600 Anmerkungen zusammenkam, sprengte alles, was ich bislang für ein eBook unter den Tasten hatte — und so erklärt sich eine gewisse Dauer, bis dieses Opus, das in der philosophisch-politischen Literatur sowohl in seinem Anspruch wie in seiner Wirkungsmacht seinesgleichen sucht, veröffentlichungsfähig war.
Spoiler:
"Die Gesetze dürfen nicht spitzfindig sein. Sie sind für Leute von mittelmäßigem Begriffsvermögen bestimmt. Sie sind keine dialektische Kunststücke, sondern Aussprüche, die dem einfachen Verstande jedes Hausvaters zugänglich sein sollen."
(IX, 62; 29. Buch, 16. Kapitel)
… Führwahr: eine äußerst beherzigenswerte Maxime … und wie jeder weiß: bis heute - fast 300 Jahre später - nicht umgesetzt. Aber sie zeigt, aus welchem "Geist" M. seinen "Geist der Gesetze" geschrieben hat: er bekennt, dass er "dies Werk […] als Politiker schreibe" (VIII, 105; 24. Buch, 1. Kapitel); damit stellt er es aber keineswegs außerhalb der philosophischen Tradition, sondern schließt im Gegenteil an Werke wie
Platons "Staat", dessen
"Gesetze" oder
Aristoteles' "Politik" an; auf sie wird in zahllosen Anmerkungen M.’s immer wieder verwiesen (so kam es, dass ich bei der Arbeit an diesem Werk damals motiviert wurde, die betreffenden Werke in diesem Forum hochzuladen). So wie Literatur
auch aus Literatur gemacht wird, wird ebenso Philosophie
auch aus Philosophie gemacht: kein Hegel ohne Kant, kein Rousseau ohne Locke, und eben auch kein Montesquieu ohne Platon, Aristoteles, Locke u.a. Aber die Art, wie neue Akzente gesetzt, neue Elemente eingeführt werden, macht eben das Eigentümliche und damit die genuine Leistung aus. Bei M. ist es die Gewaltenteilung, wie bei Rousseau die Volkssouveränität: beides ist nicht eigentlich völlig neu, aber in dieser Vordergrundbeleuchtung und logischen Ableitung in nicht gekannter Weise zwingend.
Politik ist der Aufklärung selbstverständlicher Gegenstand der Philosophie, und dies durchaus bis hinein in ihre praktischen Bezüge - die Ausgliederung der Sozialwissenschaften (zu deren Vorläufer man M. heute geradezu zählt) aus der Philosophie hat in der Mitte des 18. Jh. noch nicht stattgefunden (im Kommentar Destutt de Tracy’s von 1819 bemerkt man, wie jene sich bereits anbahnt). Und so enthält "Der Geist der Gesetze" eben nicht nur abstrakte Reflexionen rechtsphilosophischer Art, sondern setzt sich mit zahlreichen Detailfragen wie Besteuerung, Handel, Demographie, Ehe, Erbschaft, Religion etc. auseinander, wobei der heutige Leser natürlich allenthalben auf die zeitgenössische Begrenztheit in der Diagnose und Evaluation der Symptome ebenso wie der Verschreibung der Rezepturen stößt. Oft genug geht auch einfach der Historiker in M. mit ihm durch (in "
Betrachtungen über die Ursachen der Größe der Römer und ihres Niedergangs", 1734, hatte er ein Beispiel seiner diesbezüglichen Kompetenz gegeben).
Vieles davon wird in den Anmerkungen Voltaires und Helvetius’ diskutiert, und Destutt geht in seinem Kommentar oft recht erbarmungslos mit Schwächen des Werkes ins Gericht; bei allen dreien kann man sich allerdings des Eindrucks schriftstellerischer Eitelkeit nicht ganz erwehren: immerhin hat M. die Plattform, auf der die Diskussion stattfindet, überhaupt erst einmal geschaffen.
»
Der ›Geist der Gesetze‹ sah sich vor allem Angriffen französischer Kleriker ausgesetzt, auf deren Vorhaltungen Montesquieu 1750 mit einer ›Verteidigung des Geistes der Gesetze‹ antwortete – vergeblich: Ein Jahr später setzte der Vatikan das Werk auf den Index der verbotenen Bücher. Die Verbreitung und der grenzenlose Erfolg der Schrift ließ sich allerdings nicht mehr verhindern: Der ›Geist der Gesetze‹ wurde zu einem zentralen Gründungstext der europäischen und auch amerikanischen Rechtsstaatlichkeit.« (Kersten Knipp 2005 in einer Sendung des DLF zum 250. Todestag von Montesquieu)
Die Entstehung dieses eBooks, das nach 170 Jahren Montesquieus Hauptwerk (sein brillantestes Nebenwerk, "Persische Briefe", ist im Forum bereits vertreten) erstmals wieder vollständig neu zugänglich macht, beruht auf der Methode der GoogleBooksKorrekturLesung, wobei hin und wieder das frz. Original (ed. É. Laboulaye, Paris, 1876/78) zu Rate gezogen werden musste, um wenige kleine Unrichtigkeiten oder Versäumnisse des Übersetzers zu korrigieren. Die Seitenzahlen der Vorlage sind dezent (verkleinert, grau) sichtbar eingepflegt; bei Bedarf kann ihre Sichtbarkeit ausgeschaltet werden (ggf. PN oder eMail). Das nicht unerhebliche Gewicht des ePubs erklärt sich neben dem Seitenumfang auch aus den eingebetteten Schriften, die wegen zahlreicher altgriechischer Passagen notwendig wurden. — Der deutsche Montesquieu-Artikel in wikipedia führt übrigens sehr strukturiert und instruktiv in M.s politisch-philosophisches Denken ein.
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