Poetry Weiß, Konrad: Die cumäische Sibylle [german]. V1.1 14.12.2018

[wilfriedk]

Johannes Brahms schrieb in einem Brief (vom 12. Januar 1885 an Elisabeth von Herzogenberg) über Anton Bruckner: "... ein armer verrückter Mensch, den die Pfaffen von St. Florian auf dem Gewissen haben." Dieser Satz fällt mir manchmal ein, wenn ich mich mit den Schwierigkeiten abplage, die manche nur auf der Grundlage des katholischen Christentums möglichen Werke von Konrad Weiß mir (als nicht-christlichem Leser) machen, zusätzlich zu den Schwierigkeiten, vor die diese Dichtung jeden Leser ohnehin stellt. Aber ebenso unzweifelhaft, wie Bruckner ein großer Komponist ist, ist Weiß ein bedeutender Dichter, den zu lesen sich lohnt.

Eines der Werke von Konrad Weiß, die ohne die Bibel, besonders die Evangelien, und hier wiederum besonders das Johannes-Evangelium, und die darauf aufbauende katholische Theologie nicht denkbar wären, ist sein hier bereitgestellter zweiter Gedichtband Die cumäische Sibylle, erschienen 1921. Vielleicht noch mehr als in seinen anderen Büchern ist hier ein Hauptthema das fast verzweifelte Bemühen, sich aus der Haltung des vergrübelten Betrachters zu lösen und zum Leben zu kommen, zum Mitmenschen, selbst ein tätiger statt nur zuschauender Mensch zu werden. "Geschichtlich werden" nennt Konrad Weiß diesen Vorgang auch. Die Gedichte in der cumäischen Sibylle sind durchtränkt von biblischen Bildern und machen reichen Gebrauch auch von der Sprache der Bibel. Dies aber nicht als Selbstzweck; vielmehr nutzt Weiß vor allem die Begebnisse der Passion als Präfiguration seiner eigenen Situation als leidender, geknechteter, erlösungsbedürftiger Mensch, insbesondere als Mensch, der vor lauter Sinnieren nicht zum Leben kommt, sich aber nach Leben, nach Teilhabe am Leben sehnt. Dieses Buch redet also letztendlich, unter Benutzung biblischer Vorstellungen, von Dingen, die viele Menschen bewegen und angehen.

Trotzdem bleibt es ein schwieriges und sperriges Buch, mit seiner zerklüfteten, trümmerhaften Sprache, den vielen inkongruenten Metaphern, dem vertrackten Satzbau; aber auch ein Buch, das sich zu lesen lohnt, weil sich darin ein Mensch mit Ehrlichkeit und Demut in seiner Kleinheit, Bedürftigkeit und Not ganz entblößt. Nicht zuletzt ist es auch ein grandioses Sprachkunstwerk.

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Konrad Weiß lebte von 1880 bis 1940. Er studierte zunächst Theologie, brach das Studium aber ab, als er feststellte, daß er nicht Kleriker werden könne. Von Beginn seines Studiums an belegte er auch Vorlesungen in Kunstgeschichte, Geschichte und Literatur. Im Brotberuf war er Redakteur in recht subalterner Stellung, zuerst ab 1905 bei der Zeitschrift Hochland, dann ab 1920 bei den Münchner Neuesten Nachrichten. Bei beiden war er für den Bereich Bildende Kunst zuständig. Er wurde erst spät zum Dichter: sein erstes Gedicht entstand im Jahr 1914. Er heiratete spät, machte nie Karriere, und wurde als Dichter, obwohl in bestimmten künstlerischen Kreisen und von manchen Dichterkollegen wie Hofmannsthal, Borchardt oder Loerke hochgeschätzt, weder zu Lebzeiten noch danach einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Erste Informationen über Leben und Werk stehen in den einschlägigen Literaturlexika. Wer sich näher über den Dichter Konrad Weiß informieren möchte, findet die detailliertesten und verlässlichsten Informationen im Marbacher Magazin 15, das 1980 zum hundertsten Geburtstag von Konrad Weiß erschien, dessen dritte Auflage von 2001 noch erhältlich ist. Die Einträge in Lexika zu Konrad Weiß sind meist recht knapp.

Gedanklich fußt Konrad Weiß im (christlichen) Mittelalter, mit dessen Geschichte, Kunst und Literatur er sich intensiv auseinandergesetzt hat. Sprachlich ist er auf der Höhe seiner Zeit; man fühlt sich mal an expressionistische, mal an surrealistische Literatur erinnert, oder auch an den magischen Realismus. Immer aber bleiben seine Sprache wie seine Inhalte unverkennbar.

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Nachtrag: mir ist gestern leider zu spät aufgefallen, daß in der hochgeladenen Datei ein Schreibfehler war. (In dem Gedicht Der Brunnen im Felde muß es heißen "schlünden" statt "Schlünden".) Ich liefere die korrigierte Fassung hier nach.

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