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Polenz, Wilhelm von: Liebe ist ewig german 15.11.2009
Leseprobe:
Jutta mußte ihrem Bruder Eberhard wieder einmal bei seinen Experimenten helfen. Das Zimmer glich einem Naturalienkabinett. Auf Schränken standen ausgestopfte Vögel, auf Tischen und Kommoden erblickte man Steine, Erze, Gläser mit Spirituspräparaten, an den Wänden hingen Kästen, hinter deren Glasscheiben Schmetterlinge und Käfer aufgespießt waren. Vom Bücherbrett grinste unheimlich der Totenschädel herab. Der große viereckige Tisch in der Mitte des Zimmers war vollgestellt mit physikalischen Instrumenten; sie waren kostbarer, als man sie für gewöhnlich im Besitze eines siebzehnjährigen Gymnasiasten findet. Es herrschte in dem Raume ein undefinierbarer Geruch, der sich zusammensetzte aus der Ausdünstung ausgestopfter Tiere, kaltem Zigarettenrauch und dem ätzenden Aroma von allerhand Säuren und Essenzen. Eberhard hatte sein Zimmer das »Laboratorium« getauft, und die Hausgenossen waren ihm darin gefolgt, es so zu nennen. Seine Schwester, um drei Jahre jünger als er, stand dabei, während er an der Induktionsmaschine herumhantierte. Er gab ihr barsche Befehle. Jutta reichte ihm wortlos, was er brauchte. Ihr Auge verfolgte den Fortgang des Experiments mit dem Blicke kühler Gewohnheit; offenbar war ihre Seele nicht dabei. Eberhard tyrannisierte das Mädchen, ohne Bosheit, aus jenem naiven Selbstbewußtsein des jungen Mannes heraus, das ihm früh schon sagt: du bist auf der Welt, um zu regieren. Zunächst wurde dieses Regiment an der ausgeübt, die sich am wenigsten wehren konnte, an der kleinen Schwester. Vor einem Jahre noch hatte Eberhard einen über sich gehabt, der ihm seine Faust schwer fühlen ließ: seinen älteren Bruder, Kurt. Aber Kurt war vom Vater nach Südamerika geschickt worden, um die Handelsinteressen, die das Haus Reimers dort hatte, an Ort und Stelle wahrzunehmen. Seit der ältere Bruder jenseits des großen Wassers war, atmete Eberhard auf. Die fünf Jahre, die Kurt ihm im Alter voraus war, hatten den empfindlichen Knaben schwer gedrückt. Jetzt erst wurde für ihn Raum zur Entfaltung. Bisher war er der Kleine gewesen, der unter dem Schatten eines Größeren heranwuchs; nun endlich war er »junger Herr« geworden, brauchte nicht mehr davor zu zittern, von dem Älteren lächerlich gemacht oder gar bemitleidet zu werden. Herr Reimers, der Vater dieser Kinder, war viel außer dem Hause. Seine Geschäfte führten ihn von einem Ende Europas zum andern. Er war schon seit einigen Jahren verwitwet. Wenn er von seinen Reisen nach Haus zurückkehrte, wollte er Behaglichkeit vorfinden und aufgeräumtes Wesen. Jutta und Eberhard wußten das; denn sie waren, wie die meisten Kinder, gute Beobachter. So hatten sie auch gemerkt, daß der Vater den unangenehmen Dingen aus dem Wege ging, und daß man am besten fuhr, wenn man ihm Unerfreuliches nach Möglichkeit verschwieg. Ohne sich verabredet zu haben, richteten die Geschwister ihr Verhalten nach dieser Eigenheit des Vaters ein. Ja, das war eigentlich das einzige, worin sie stillschweigend einig waren. Wie vielfach in Familien, wo die Mutter fehlt, erschienen die Kinder, was das Äußere anbetraf, ziemlich selbständig und früh gewitzigt. Sie hatten sich mit Fremden einrichten müssen, waren gezwungen gewesen, sich zu verteidigen, ihre Stellung zu behaupten. Sie waren gewohnt, einerseits, sich selbst zu helfen; aber da der Hausstand, in dem sie aufgewachsen, ein großer war, so hatten sie auch die Angewohnheit angenommen, für sich arbeiten zu lassen, die Dienstboten zu befehligen und in Trab zu halten. This work is assumed to be in the Life+70 public domain OR the copyright holder has given specific permission for distribution. Copyright laws differ throughout the world, and it may still be under copyright in some countries. Before downloading, please check your country's copyright laws. If the book is under copyright in your country, do not download or redistribute this work.
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