Giseke, Robert: Der "Moderne-Titanen"-Zyklus. V1 [German] 18.12.2017
Wer literarisches Interesse für den Vormärz hat, kommt an dem bislang nur Eingeweihten bekannten "Titanen"-Zyklus von Robert Giseke nicht vorbei. Kein anderes Werk der deutschen Literatur nimmt den Katzenjammer der gescheiterten 48er Revolution so überzeugend in die erzählerische Schilderung von Vormärz und März hinein und macht zugleich so konsequent die kleinen Leute zu Protagonisten des Romans.
Der Zyklus besteht aus folgenden, inhaltlich von einander unabhängigen Teilen:
1. Moderne Titanen. 1850
2. Pfarr-Röschen. 1851
3. Carrière! 1853
4. Kleine Welt und große Welt. 1853
Spoiler:
Das erste eBook gibt die drei Bände der ersten Abteilung, "Moderne Titanen", wieder. Im Nachwort, einem ADB-Artikel von Richard M. Meyer, wird neben biographischen Details auch gerade "Moderne Titanen" eingehender gewürdigt, wobei dessen Charakter als Schlüsselroman des Vormärz im Mittelpunkt steht.
Interessante Abweichungen der zweiten Auflage des zweiten, zweibändigen Romans "Pfarr-Röschen" (1854) sind in die Anmerkungen aufgenommen.
Die dritte Abteilung, "Carrière!", ventiliert - über weite Strecken auf der Basis einer amüsanten Lustspielstruktur durchaus satirisch - die Art und Weise, wie nach der gescheiterten Revolution von 1848 gewisse Teilnehmer derselben zu zynischen Wendehälsen werden und im reaktionären Klima der nachrevolutionären Ära ihr gesellschaftliches und finanzielles Fortkommen sichern. Giseke übersieht keineswegs, wie unter diesen Bedingungen ein politisch motiviertes Aufleben des Antisemitismus um sich greift, wie aber auch andererseits die soziale Segregation nunmehr geradezu kastenförmige Zustände hervorbringt. –
Die Hauptfigur Edmund gibt dem den Zeitgeist grundierenden Identitätsverlust im Gespräch mit Viktorine aufschlussreichen Ausdruck (Bd.1, S.215):
»Wie kann ich noch sagen: Ich! — Ich, wie sich ein jeder Andere ebenfalls nennt! Ich gebe dem Anderen ja nicht das Recht, ein Ich zu sein, wie ich es bin. Kein Begriff kann uns Einzelne zusammenfassen, denn er setzt ein Gemeinsames voraus, und wir haben kein Gemeinsames, als den Trieb, uns abzustoßen oder zu unterwerfen! Das ganze Leben, was ist es anderes, als ein Krieg Aller gegen Alle!«
Edmund ist - nicht nur in seinem metaphysischen Katzenjammer, auch politisch - zunächst als Inkarnation des gescheiterten Romantizismus jener weltschmerzlichen ›Zerrissenheit‹ zu sehen, während Viktorine den neu entstehenden, in sich ruhenden Realismus verkörpert, Edmunds Bruder Oskar wiederum den des sich abzeichnenden ›Realpolitikers‹. Vor überraschenden Wendungen in Handlung und Charakteren ist der Leser jedoch keine Minute sicher! –
Schon die Abteilungen 1 und 3 weisen satirische Züge auf, die nun in der vierten, "Kleine Welt und große Welt", jedoch ohne Bitterkeit, die gesamte Erzählhaltung grundieren; Gisekes vierter Roman ist, wie das frühe Werk von Wilhelm Raabe, auch ein Beispiel für die Charles-Dickens-Rezeption im deutschsprachigen Raum dieser Jahre, indem hier Genre-Szenen in jenem mitleidvoll-ironisierenden Ton vorherrschen, wie man das vom britischen Meister gelernt hatte.
Thematisch gesehen berührt der Autor als einer der frühen deutschen Prosaisten zudem die Bedrohung des Handwerks durch fortschreitende industrielle Revolution. Auch die sich immer deutlicher abzeichnenden Vorbehalte des "platten Landes" gegenüber der dominanten Metropole Berlin und ihrer Anonymität werden deutlich ("nach Berlin — nein, schwerlich. Mir graut vor dieser Residenz der ewig nichtssagenden Höflichkeit und des impertinent guten Tons." Bd.1, S.49f.), gespeist auch durch die von der Industrialierung hervorgebrachte neue Aristokratie des Kapitals: sprechende Namen wie der des geheimen Commerzienraths Selbstherr unterstreichen dies. Umgekehrt enthüllt sich das Provinzielle freilich auch als eine Lebensform, der es vor allem darum geht, jegliche Risiken zu vermeiden. Zuletzt ist das Werk zugleich der Roman über einen Künstler, der in dieser nunmehr vom Geld beherrschten Welt einen glaubwürdigen Platz finden muss. Amely, seine verlorene Jugendliebe, drückt ebenso seine Erfahrung aus, wenn sie in realistischer Resignation konstatiert: "wo das Verlangen nach dem Idealen auftritt, da stellen sich die Conflicte der Gesellschaft dazwischen. Das Leben ist nicht da für Leidenschaften, nur für Pflichten." (III, 152)
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