Other Fiction Jordan, Wilhelm: Die Sebalds. V2 [German] 25.2.2018

[brucewelch]

Ein religionsphilosophischer Roman des Alt-48ers Wilhelm Jordan, zuerst 1885 in zwei Bänden mit insgesamt 635 Seiten erschienen.

Spoiler:

Nachdem die großen Realisten des 19. Jh. sich religiösen Fragen gegenüber ebenso abstinent verhielten wie bei explizit politischen Themen, blieb es den Autoren aus der zweiten und dritten Reihe überlassen, sich ihrer literarisch anzunehmen. Denn ein Bedarf dazu existierte seit David Friedrich Strauß' entmythologisierendem "Leben Jesu" und Feuerbachs Religionsphilosophie zweifellos. Mit dem päpstlichen Unfehlbarkeitsdogma von 1870, das in Deutschland den "Kulturkampf" auslöste, bekamen religiöse Fragen noch einmal eine neue Dynamik. -
Wilhelm Jordan versucht nun in diesem Roman ein, wie er es versteht, progressives Christentum zu propagieren, das die modernen Naturwissenschaften samt dem Darwinismus in sich aufnimmt. Dabei werden auch Themen wie die "Mischehe" (die Verbindung katholischer und evangelischer Ehepartner galt noch in den fünziger und sechziger Jahren des 20. Jh. als Skandalon!) und der Übertritt vom mosaischen zum christlichen Glauben berührt. Jordan steht dabei dem orthodoxen Judentum kritisch gegenüber, verurteilt aber gleichzeitig scharf den zeitgenössischen Antisemitismus. Das von der katholischen Kirche ge- (oder besser ver-) zeichnete Bild steht noch stark unter dem Einfluss des "Kulturkampfes".

Eine Kostprobe von Jordans eckig-markantem Stil aus dem 18. Kapitel:

"Bald aber spielte das Gespräch fast nur noch zwischen Arnulf und Hildegard, da deren Vater, die feinen Weihrauchwölkchen in sparsamen bläulichen Ringeln ausblasend, oder zu gründlichstem Kosten ihrer wunderbaren Winzigkeit langsam durch die Nase entlassend, sich dem Schwelgen in seiner Havanna so sehr hingab, daß er nur mit halber Aufmerksamkeit zuhörte, jeden etwa noch auftauchenden eigenen Gedanken als eine Störung empfand und ihn auf der Hälfte des Weges vom Hirn zur anders beschäftigten Zunge zum Ungeborenbleiben verurtheilte."

Dass dieser Autor kein Keller oder Fontane ist, nicht einmal die plastische Lebendigkeit eines Spielhagen erreicht, wird man in Kauf nehmen müssen, ebenso wie seinen Hang zu Deklamation, wenn man sich aus literarhistorischem Interesse mit diesem dennoch gar nicht unspannenden oder handlungsarmen Roman (jesuitische Intrigen, Liebeswirren von Brüdern, versuchter Kindesraub etc.) befasst.

Textgewinnung auf der Basis der GoogleBooks-Korrektur-Methode.

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