Collected Works Lenau, Nikolaus: Sämtliche Werke. V1 [German] 29.5.2025

[brucewelch]

Naturbehagen.

Der Seerab’ hat ein gutes Leben!
So über’m Wasser hinzuschweben,
Wo lustig plätschern, zierlich kreisen,
Einladend, seine leckern Speisen.
Sein scharfes Auge weiß auf Strecken
Die feinsten Fischlein zu entdecken,
Sein treues Auge sieht bei Zeiten
Am Strand den Jäger lauernd schreiten,
Und plötzlich unter taucht der Rab’,
Schwimmt unsichtbar vom Jäger ab,
Und taucht erst fröhlich wieder auf,
Wohin nicht reicht der Flintenlauf.
Sanft fällt des Jägers Schuß dort nieder,
Wie schlafergriffne Augenlider,
Den Augenlidern gleich des Raben,
Der nach genossnen Meeresgaben
Am sichern Fels, im Sonnenschein,
Beim Wellenmurmeln schlummert ein.

Wer gewisse Vorstellungen von Nikolaus Lenau hat, verbindet ihn vielleicht mit dem Bild des typischen Weltschmerzdichters, der einige großartige Naturgedichte, besonders in den Jahreszeiten Frühling, Herbst und Winter angesiedelt, geschrieben hat, ferner etliche Liebeslieder, Polenlieder, Ungarlieder u.dgl.m. Das Gedicht vom schnippchenschlagenden, doch durchaus etwas philiströsen Seeraben, hinter dem der Jäger nur ein Nachsehen hat, scheint da nicht ins übliche Bild eines bloß rhapsodisch veranlagten Poeten, der übrigens gut Geige und Gitarre zu spielen wußte, zu passen.
Um ein paar andere Seiten eines Dichters kennen zu lernen, ist es daher immer gut, wenn man einen Blick in eine gediegene Gesamtausgabe werfen kann. Eine solche hoffe ich hier vorzulegen. Bei der digitalen Edition "Sämtliche Werke" handelt es sich um die Reproduktion der von Carl Hepp betreuten Werkausgabe (Bibliographisches Institut. Leipzig. 1882. 2 Bde, XCVI, 368 & 468 Seiten). Es ist derselbe Verlag, der auch für die Gesamtausgabe von Ludwig Uhland in MR verantwortlich zeichnete. Anders als bei dieser ungemein anmerkungsfreudigen Werkausgabe hat sich Lenaus herausgeber Carl Hepp in diesem Punkt merklich zurückgehalten (was mich nicht hinderte, dennoch alle nötigen Verlinkungen einzugestalten), steuert jedoch ein sehr brauchbares umfangreiches Lebensbild des Dichters sowie äußerst instruktive Einleitungen bei, die insbesondere bei den epischen und dramatischen Werken auch heute noch (oder besser gerade heute...) sehr hilfreich sind.

Eigenes OCR der o.g. Ausgabe &c. In Zweifelfällen wurde die von Walter Dietze 1970 im Insel-Verlag, Leipzig, herausgegebene Ausgabe konsultiert, die Eduard Castles historisch-kritische Edition (1910-23) zur Grundlage hat. Dem eBook wurden Schriften eingepflegt (Caladea und LucidaSans, Beispiele für leichtgewichtige Schriften, die trotzdem gut aussehen), während das Cover Gebrauch macht von einem Porträt des Dichters, das 1860 als Stahlstich auf der Basis eines Bildes von Carl Rahl aus dem Jahre 1834 entstand. – Das Buch wird in zwei Versionen angeboten: die Standard-Version führt die Seitenziffern der beiden Bände verkleinert in [ ] mit auf, während die Gourmet-Version (_np) sie verunsichtbart.

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[YuryYursky]

great, thanks