Other Fiction Bang, Herman: Gräfin Urne. V1 [German] 23.9.2025

[brucewelch]

Herman Bang dürfte einer der ersten Dichter gewesen sein, der die Technik des Impressionismus auf die Literatur angewendet hat. Ein Ausschnitt aus einem Dialog im elften Kapitel des vorliegenden Romans, dessen dänische Originalausgabe 1883 erschien:

»Sehnsucht? Ja — jetzt glaube ich, es war Sehnsucht. An manchem Abend schlich ich mich aus dem Bett, während die Anderen schliefen und stand am Fenster und starrte den Himmel an und weinte und weinte— — —«
»Sie Armer — das war Heimweh…«
»Haben Sie es auch gefühlt? … Wenn die Wolken treiben und man sie immerfort anstarrt, dann ist es, als erzählten sie einem gar viel, was man nicht begreift, und unbewußt versinkt man in Träume…«
»Ja, das fühlen wir wohl alle, — wenn wir jung sind.«
»Es ist, als gingen wir im Nebel und Jemand ruft; es ist, als ob eine Last unsere Brust bedrücke — gerade, weil man nicht weiß, was es bedeutet.«— —
»Es ist gleichsam, als riefe es hinter einer Decke hervor, man lauscht und lauscht und versteht doch kein Wort…«

Das Werk Herman Bangs ist gesättigt mit jener Atmosphäre des fin-de-siècle, dessen Bewusstsein geprägt ist von Endzeit und Dekadenz. Parallel zum Lebensüberdruss ist jedoch eine gesteigerte Empfindungsfähigkeit zu beobachten, die nach gleichgesinntem Verständnis verlangt, wie die oben zitierte Passage belegt. Die sprachliche Herausforderung liegt in der Aufgabe, das kaum noch Sagbare dennoch ins Wort zu bringen. Und Herman Bang ist darin ein großer Meister.

"Gräfin Urne" erschien in deutscher Übersetzung (von Emil Jonas) erstmals in der "Deutschen Roman-Zeitung" 1887. In demselben Jahr folgte eine Buchausgabe (308 Seiten), die jedoch im Netz nicht erreichbar ist. Der Text wurde daher aus dem Zeitschriften-Vorabdruck via eigenen OCRs &c. generiert. - Das dänische Original trägt den Titel "Fædra"; der Übersetzer hat sich wohlweislich entschieden, das Buch im Deutschen nicht unter dem lastenden Begriff "Phädra" erscheinen zu lassen. Urne ist zwar nur der Name, den die weibliche Hauptfigur durch ihre Ehe erwirbt, und er ist wohl im Dänischen nicht ganz selten. Im Deutschen aber kommt die Assoziation zur dekadenten fin-de-siècle-Todessehnsucht so ohne Aufwand ins Spiel.

Das Cover bringt das ›Porträt einer jungen Dame im Profil‹ (um 1874) von Hans Makart; ich kenne kein Bild, das auf die weibliche Hauptfigur besser passen könnte. In den editorischen Hinweisen ist der Bezug zum Text verlinkt (Ende des neunten Kapitels).

[Mit einem Gruß an elibrarian.]

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