Other Fiction Spielhagen, Friedrich: Clara Vere. V2 [German] 16.1.2018

[brucewelch]

"Clara Vere", inspiriert von Alfred Tennysons Gedicht "Lady Clara Vere de Vere", 1853 entstanden, 1857 erstveröffentlicht, ist Spielhagens Debüt-Publikation. Die Erstausgabe firmiert unter dem Gattungsbegriff "Novelle"; noch in den betreffenden Bänden der Werk-Ausgabe der 1880er-Jahre ist der Text in den ersten der beiden "Novellen"-Bände eingereiht; ab den 1890er-Jahren tragen dieselben Bände den Titel "Kleine Romane", was uns heute für das vorliegende Werk ebenfalls treffender erscheint.

Spoiler:

"Clara Vere" ist in der literarischen Faktur noch sehr der Rhetorik verpflichtet; die Erzählhaltung wirkt etwas uneinheitlich - der objektive Konversations- und Deskriptionsstil der späteren großen Romane muss erst erarbeitet werden. Ton, Bildlichkeit und Szenarien sind von deutlichem Romantizismus bestimmt. Der in England spielende Text weist ferner zahlreiche Reminiszenzen an die englische Literatur auf, nicht zuletzt an Bulwer-Lytton's Romane (Lady Vere, Herzog Arlington, Helene Locksley wirken wie an "Ernest Maltravers" angelehnt; in seiner Autobiographie "Finder und Erfinder" erwähnt Spielhagen, dass "Ernest Maltravers" und dessen Fortsetzung "Alice" ihn damals beeindruckten); Reminiszenzen scheinen auch auf Tiecks schauspielernden "Jungen Tischlermeister" (1836, in frodoks Tieck'scher Novellensammlung enthalten) zu verweisen; Spielhagen bestreitet jedoch glaubhaft in seinen Memoiren, damals auch nur eine einzige Tieck-Novelle gekannt zu haben. Das Ganze ist jedoch mit Natur-, besonders "Wald"gefühl angereichert. Dazu passt, dass das schlichte Bürgermädchen die anspruchsvolle High-Class-Lady einmal mehr um Längen schlägt ...
Weltanschaulich wirken die Forderungen des jungen Deutschland nach Wahrheit, Mitgefühl, Freiheit und Gleichheit beim jungen Spielhagen in oft noch sehr deklamatorischer Weise nach - verlassen hat er diesen 48er-Idealismus bis zu Ende nicht. - Ein Werk, das zeigt, dass dieser später außergewöhlich erfolgreiche Romandichter noch eine gewisse Lernstrecke vor sich hat, das aber auch äußerst anschauliche Szenen und überraschende Wendungen enthält, die auf Größeres hoffen lassen.

Textgewinnung durch die GoogleBooks-Korrekturlese-Methode auf der Basis der Erstausgabe. Evidente Druckfehler sind stillschweigend berichtigt; der originale Lautstand ist gewahrt.
Das Cover zeigt, indem Clara Vere eine englische Lady ist, das Bild von John Singer Sargent, Lady Agnew of Lochnaw (1893). Die von dieser Lady getragene Mode entspricht nicht der der 1850er-Jahre; aber Haltung und Gestalt kommen der Hauptfigur so nahe, dass ihr mir diesen Anachronismus vielleicht verzeiht.

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