Clara Viebigs Werke sind hier erstaunlicherweise noch gar nicht vertreten, obwohl sie zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen der ersten Hälfte des 20. Jh. zählt. Ich mache den Anfang mit ihrem Roman
»Charlotte von Weiß« von 1930.
Willibald Alexis hatte in seinem
»Neuen Pitaval« 1842 über den aufsehenerregenden Kriminalfall der
Giftmörderin Ursinus berichtet, die in den ersten Kreisen Berlins verkehrte und zu Beginn des 19. Jahrhunderts vermutlich mehrere Menschen vergiftet hatte, darunter ihren Ehemann, ihren Geliebten und ihre Tante. (Vgl. dazu auch seinen Roman
»Ruhe ist die erste Bürgerpflicht«.)
Clara Viebig greift diesen Fall auf und versucht, das Wesen und die Motive dieser Mörderin zu ergründen. Sie zeichnet das vielschichtige Bild einer bis zuletzt rätselhaften Frau, die sich den Konventionen ihrer Zeit widersetzt und für ihr Glück und ihre Unabhängigkeit kämpft, jedoch letztlich an den Verhältnissen und an sich selbst scheitert. Trotz ihrer Verbrechen erscheint sie über weite Strecken als liebenswerte Person mit seelischen Abgründen, sie ist weder eindeutig gut noch teuflisch-böse. Sehr spannende Lektüre und Unterhaltung vom Feinsten!
Mehr zu Viebig im Aufsatz von
Rolf Löchel: »Fluch dem Krieg! Zum 150. Geburtstag der noch immer weithin als schlichte Heimatdichterin verkannten Schriftstellerin Clara Viebig.«
Cover
Unbekannter Künstler: Stendal. Stadtansicht, 19. Jh. (Ausschnitt.)
Aus: Ludwig Goetze: Urkundliche Geschichte der Stadt Stendal, 1873.
Textvorlage
Clara Viebig: Charlotte von Weiß.
Rastatt: Moewig, 1991.