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Old 04-05-2009, 12:08 PM   #67
Fabian Kern
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Join Date: Apr 2009
Device: Sony Reader
Ich habe diese Diskussion mit großen Interesse verfolgt, da ich in der IT eines namhaften deutschen Fachverlages arbeite und zur Zeit mit Produktionskonzepten für eBooks betraut bin. Ich bin recht sicher, dass viele Verlage zur Zeit alle dieselben Probleme haben - die technischen Konzepte der Formate und Reader sind noch unausgereift, die Eigenschaften der Reader-Software der verschiedenen Endgeräte unterscheiden sich erheblich voneinander, insgesamt ist die Situation recht ähnlich der von HTML-Browsern vor etwa 10 Jahren.

Ich will nun wirklich nicht alle Verantwortung von den Verlagen abschieben - bei vielen kleinen Verlagen ist sicher weder das komplette technische Know-How vorhanden, noch der Wille für den Kapitaleinsatz, um qualitativ gute eBooks auf den Markt zu bringen. Was ich aber bereits bei den ersten technischen Überlegungen zur Produktion festgestellt habe - die Hersteller der Geräte, die Erfinder der Formate und auch die Reseller-Plattformen machen es einem dabei auch nicht gerade einfacher.

Nur ein paar Beispiele aus der Praxis:

Seitenzahlen-Anzeige

Im Sony Reader bzw. bei Adobe Digital Editions ist eine Anzeige implementiert, die so aussieht, als würden die ehemaligen Print-Seitenzahlen im Text mitgeführt. Simmt aber leider nicht - mit den Ex-Seitenzahlen hat dies in den meisten Fällen nichts zu tun. Die angezeigten Zahlen stehen nirgendwo explizit im Datenstrom der ePub-Datei; das Feature ist seitens Adobe nicht dokumentiert, eine Anfrage beim Hersteller ergab bisher nur einen lakonischen Verweis auf die Hilfe-Seite von Digital Editions, Infomationswert gleich null. Mit anderen Worten: Wir als Verlag würden dieses Feature natürlich gerne nutzen, um eine gewisse "Kompatibilität" des eBooks zum Print-Buch zu gewährleisten - aber bisher ist kaum herauszufinden, wie das eigentlich gehen soll...

Zitierfähigkeit/Titelidentität

Dass sich ohne kontrollierbare Seitenzahlen die Zitierfähigkeit eines eBooks in Grenzen hält, dürfte klar sein. Dazu ist aber noch seitens der Vertriebsplattformen die Regel aufgestellt worden, dass eBooks mit eigener ISBN-Nummer sowie mit eigenen Titelstammdaten geliefert werden müssen. Für uns als Verlag heißt dies, dass es sich im buchhändlerischen Sinne tatsächlich nicht mehr um dasselbe Buch bzw. denselben Titel handelt. Streng genommen wären wir also nicht einmal gezwungen, eine echte Identität der Inhalte zu gewährleisten, von so etwas wie Seitenidentität ganz abgesehen. Wir halten dies aber für schwer verargumentierbar und kundenunfreundlich - solange es aber keine klaren Standards und Regeln dafür gibt, wieviel das eBook noch mit seinem ehemaligen Print zu tun hat und wieviel nicht, dürfte jeder Verlag seine eigene Kompromisslösung suchen.

Darstellungsmöglichkeiten der Reader

Sobald man mehr als nur Fließtexte und Überschriften zur Textstrukturierung nutzen muss, z.B. Listen, Tabellen, Grafiken, Formeln, ehemalige Marginalien-Texte, etc. darstellen muss, etwa weil man als Fachverlag nunmal fachliche Inhalte verkauft, werden die Einschränkungen der Reader sehr schnell deutlich. Sich vom Darstellungsmodell auf die Möglichkeiten von HTML + CSS zu stützen, finde ich prinzipiell sogar sehr sinnvoll (und nichts anderes ist ePub z.B. "untendrunter"). Aber ähnlich wie bei den ersten Web-Browsern ist die CSS-Unterstützung bei einigen Reader bisher sehr rudimentär, und v.a. hat jeder Reader auf dem Markt eine im Detail z.T. sehr unterschiedliche CSS-Interpretation. Von ganz schlimmen Dingen wie beim Kindle, der im Grunde nicht einmal ein echtes Tabellenmodell hat, mal gar nicht zu reden...

Mein Fazit bisher: wenn man "gute eBooks" machen will, d.h. die Features der ePub-/mobipocket-Browser für eine qualitativ gute Darstellung der Inhalte nutzen und eine mediengerechte Umsetzung erreichen will, steht man als Verlag zur Zeit vor einer ganzen Liste von Problemen, die sich entweder gar nicht oder nur mit immensem technischen Aufwand lösen lassen. Das aber macht die Produktion teuer - und für viele Verlage auch unrentabel, vor allem bei der deutlich geringeren Wertschöpfung des eBooks gegenüber dem Print-Titel. Vor allem wird es meiner Meinung nach noch 2-3 Produkt-Generationen der Reader-Software brauchen, bis sich die Interpretationen der Formate soweit angenähert haben, dass ein Verlag überhaupt in der Lage ist, eine gleichbleibende Darstellungsqualität über mehr als 2-3 verschiedene Geräte hinweg sicherzustellen.

Ich werde jedenfalls die Diskussionen hier auch weiterhin verfolgen - denn den Anspruch, gute Produkte zu machen, haben wir auch weiterhin. Allerdings wird es sicher noch einige Zeit dauern, bis dies auch mit vertretbarem Aufwand und in der Breite möglich ist...
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