Dass nicht die gewiss treffliche "Effi Briest" Fontanes bestes Werk sei, sondern "Der Stechlin", sein letztes, sollte vielleicht im Fontane-Jahr einmal betont werden. Nirgendwo gibt er so vollendet sein Eigenstes: das Plaudern als Grundton, das Berlinische und vor allem das Märkische in glänzenden Genreszenen; und in dem Panorama, das in der Entrollung von Ansichten entsteht, darf man füglich sein Vermächtnis erblicken. Aufschlußreich ist hier das Gespräch zwischen Melusine und Lorenzen (Kapitel 29, S. 349ff.); dort heißt es u.a.:
"Ich respektiere das Gegebene. Daneben aber freilich auch das Werdende, denn eben dies Werdende wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. Alles Alte, so weit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor allem sollen wir, wie der Stechlin uns lehrt, den großen Zusammenhang der Dinge nie vergessen. Sich abschließen, heißt sich einmauern, und sich einmauern ist Tod." (Melusine, S. 354f.)
Lorenzens Worte etwas später lassen sich geradewegs auf die zeitgenössische deutsche Gegenwart anwenden:
"Das Heldische hat nicht direkt abgewirtschaftet und wird noch lange nicht abgewirtschaftet haben, aber sein Kurs hat nun mal seine besondere Höhe verloren, und anstatt sich in diese Thatsache zu finden, versucht es unser Regime, dem Niedersteigenden eine künstliche Hausse zu geben." (S. 357f.)
"Wohl möglich, daß aristokratische Tage mal wiederkehren, vorläufig, wohin wir sehen, stehen wir im Zeichen einer demokratischen Weltanschauung. Eine neue Zeit bricht an. Ich glaube, eine bessere und eine glücklichere. Aber wenn auch nicht eine glücklichere, so doch mindestens eine Zeit mit mehr Sauerstoff in der Luft, eine Zeit, in der wir besser atmen können. Und je freier man atmet, je mehr lebt man." (S. 358)
Fontane verfolgt die Behandlung des Romans als Konversationsbühne mit Konsequenz. In dem Abschnitt "In Mission nach England" z.B. wird man als Leser erwarten, den jungen Stechlin, Woldemar, ebendort agieren zu sehen; statt dessen erhalten wir nur ein dürres Briefchen von ihm und ansonsten die Konversationen aus Berlin und der Mark in seiner und über seine Abwesenheit. Erst im folgenden Abschnitt erfährt der Leser aus den Unterhaltungen Woldemars mit Armgard und Melusine einiges über die Eindrücke des Reisenden.
Denn Aktion ist diesem Romanschreiben an sich fremd; die Konversation ist seine Äußerungsform. Da kommt es dann freilich auch zu Darlegungen wie jener berüchtigten über das "Zweite Frühstück":
"Und dann wieder zurück und zum Abschluß ein zweites Frühstück, eine altmodische Bezeichnung, die mir aber trotzdem immer besser klingt als Lunch. ›Zweites Frühstück‹ hat etwas ausgesprochen Behagliches und giebt zu verstehen, daß man ein erstes schon hinter sich hat."
So der alte Stechlin auf Seite 65. Wenn ich nicht irre, hat Fontane selbst diese Formulierung so ähnlich in einem seiner Briefe verwendet; man muß mithin davon ausgehen, dass ihm hier sein ureigenstes Lebensgefühl diktiert hat. Das Menschliche, Allzumenschliche halt ... Triefendem Tiefsinn immerhin wird eine klare Absage erteilt.