"
Die letzte Reckenburgerin" 1871), der erste Roman von Louise von François, brachte ihr, zumal nach Gustav Freytags begeisterter Kritik, den Durchbruch als Erzählerin - immerhin erschienen ihre Erzählungen bereits seit 1854 in Zeitschriftendrucken.
Die Dichterin hat mit diesem Werk zweifellos ihr Meisterstück abgeliefert; bemerkenswert an diesem realistischen Zeitroman ist, wie die Zeitgeschichte (hier die Epoche zwischen der französischen Revolution und den Befreiungskriegen) konsequent das Schicksal der Personen bestimmt, anstatt nur als illustrative Kulisse herzuhalten - dies gilt auch für ihren zweiten Roman "Frau Erdmuthens Zwillingssöhne".
Heide Gaiser schreibt in Kindlers Neuem Literaturlexikon:
"In manchem von den seit Walter Scott gepflegten historisierenden Romanen beeinflußt, prägen ›Die letzte Reckenburgerin‹ doch ganz spezifische Züge der nachklassisch-bürgerlichen Epoche. Die Historie soll den Menschen in seiner Spannung zur Umwelt zeigen – verpflichtend bleibt jedoch das Sittengesetz der klassischen Zeit, das dem von außen bedrohten oder enttäuschten einzelnen den Weg in die Innerlichkeit beläßt. Die Reckenburgerin geht ihn unsentimental in »Recht und Ehren«; ihr bürgerliches Ethos macht sie zum Typus der entschlossenen, durch den Verzicht auf Glückserfüllung geprägten Frau und damit zur großmütigen Gegenspielerin der reizvollen, gefühlsbestimmten und schwankenden Dorothee – eine Figurenkonstellation, die sich in den Romanen und Novellen der François immer wieder findet: »Mit einer Schematik, der die Spannung von aristokratischer Gesellschaft hier, verbürgerlichter Innerlichkeit und tatkräftiger Willenszucht dort zugrunde liegt, stellte Louise von François die Leichtherzigen, denen das Glück zufällt, die sich aber in Irrtum, Schuld, Verblendung und Haltlosigkeit verstricken, jenen gegenüber, die spröder, reizloser, ernster ihr Leben aus dem Ethos von Gesinnung und Gewissen führen, sich unter Entsagungen läutern« (Martini). Der Roman gewinnt seinen Reiz durch die Neigung der Schriftstellerin zum psychologisch vertieften Porträt, zur stimmungshaltigen Episode, zum Wechsel der Erzähl- und Zeitperspektiven, zum leicht historisierenden Berichtstil und zum intimen, humorvoll getönten Plauderton."
Zum zweiten, 1873 zuerst erschienen Roman,
"Frau Erdmuthens Zwillingssöhne", schreibt Kindlers Neues Literaturlexikon:
"Ebenso wie in dem vorangegangenen [...] Roman [...] wird hier das Schicksal der Personen ganz von der Zeitgeschichte bestimmt [...]. Die politische Konstellation spiegelt sich – etwas allzu deutlich konstruiert – in den gegensätzlichen patriotischen Gefühlen der Brüder, zwischen denen das von beiden umworbene Mädchen Liska steht, das, gewiß nicht zufällig, als eine polnische Waise eingeführt wird. Chronist der an dramatischen Höhepunkten reichen Familiengeschichte ist der Hausgeistliche, einst der Kindheitsgefährte der Mutter und noch immer ihr stiller Verehrer. Er vertritt auch die weniger vom preußischen Geist als vom Liberalismus geprägten weltanschaulichen Grundsätze der einer Hugenottenfamilie entstammenden Verfasserin. Sie schließt ihr Werk mit einer ethischen Forderung: der Überwindung des »vandalischen und eigentlich antideutschen« Völkerhasses und aller Disharmonie unter den Menschen durch die Liebe."
Der dritte Roman von Louise von François, "
Stufenjahre eines Glücklichen", erschien erstmals 1877. Den drei Romanen dieser eBook-Ausgabe liegt ja jeweils der Text der Edition der "Gesammelten Werke" zu Grunde, die in 5 Bänden 1918 beim Insel Verlag Leipzig erschienen sind. Dieser Ausgabe ist es vermutlich zu verdanken, dass die Autorin - anders als z.B. ein Robert Giseke - nach der Jahrhundertwende nicht in der Versenkung verschwand, sondern sich innerhalb der Epoche des Realismus gut behaupten konnte. Das war ein Grund, weshalb das (gemeinfreie) Nachwort des vorliegenden Bandes ins eBook mit aufgenommen wurde. Oskar Bulle, noch vor Veröffentlichung der Ausgabe verstorben (1917), huldigt hier freilich unerlaubt stark der um die Jahrhundertwende aufgekommenen "Heimatkunstbewegung", die schon eifrig mit Vokabeln wie ›völkisch‹ jongliert und 1933 ersatzlos in der NS-Blut-und-Boden-"Literatur" aufgeht. Es mag eine Ironie der Literaturgeschichte sein, dass einer solchen Fehletikettierung, wie Bulle sie hier vornimmt, zuletzt das Überleben der Dichterin im Literaturkanon anzulasten ist.
Insgesamt vier Novellen-Sammlungen hat die Autorin zu Lebzeiten herausgegeben; sie enthielten Texte, die sie zuvor in verschiedenen Zeitschriften hatte drucken lassen. Aus der ersten Sammlung, "
Ausgewählte Novellen" (1868) ragt zweifellos "Judith, die Kluswirthin" mächtig hervor; wer mit den männlichen Autoren des deutschsprachigen Realismus vertraut ist, wird hier - wie auch in anderen ihrer Werke - auf eine schonungslose Drastik stoßen, um die sich die Herren gern mit ihrer ›poetischen Versöhnung‹ drum herum drücken - außer Wilhelm Raabe, der in seinem ›reifen‹ Werk (ab "Krähenfelder Geschichten") auf seine Weise nicht weniger drastisch ist.
Dass diese außergewöhnliche Schriftstellerin unbequeme und geradezu provozierende Themen mit größter Selbstverständlichkeit ihrem Publikum zumutete, zeigt auch die zweite Novellensammlung, "
Erzählungen" (1871), z.B. die "Geschichte einer Häßlichen", aber ebenso deutlich "Der Erbe von Saldeck" (1855); in dieser Novelle kann man getrost einen herben, jede Wehleidigkeit entbehrenden Abgesang auf jenes "Noblesse oblige" erblicken, das für den Landadel nur mehr einen formalen Codex darstellte, der von den ökonomisch-sozialen und mittlerweile sogar justizialen Entwicklungen überholt worden war. Kaum ein Autor hat im deutschsprachigen Raum so früh literarisch auf diesen veränderten Tatbestand reagiert. Dass François auch die noch weithin unhinterfragte "Wiederherstellung der Mannesehre" durch das Duell samt ihren banalen sozialen Mechanismen bloßstellt, muss ihr als besonderes Verdienst angerechnet werden.
Die dritte Novellensammlung "
Hellstädt und andere Erzählungen" (1874) beweist, wie die Dichterin weiterhin auf den Wandel der Zeiten reagiert; wo eine Fanny Lewald ihn überwiegend durch Salonkonversation an den Leser vermittelt, schert sich nach dem Motto "Bilde, Künstler, rede nicht!" François wenig um einen expliziten intellektuellen Diskurs, obgleich auch ihre Figuren sich der Reflexion keineswegs verschließen: sie hingegen kommt gleich zu den elementaren, pragmatischen Problemen der Zeitgenossen, und da geht es stets um Geld, Gut und Vermögenswerte. Hellsichtig analysieren ihre Erzählungen insbesondere den ökonomischen Niedergang des Landadels, der sich in traditioneller Leichtlebigkeit oder aus einer Aversion gegen hinreichendes Kalkül verschuldet und seine Stellung nicht halten kann (die Autorin erweist sich in den juristischen und finanziellen Verfahren übrigens als erfreulich beschlagen, was den echten Realismus ihrer Dichtungen verbürgt). Nur auf bürgerlichen Tugenden wie Arbeit und Sparsamkeit kann auch hier langfristiger Erfolg fußen, wie die Titelgeschichte nachweist. "Eine Formalität" zeigt, dass der Mangel an ernsthaftem und ehrlichem Umgang mit den wirtschaftlichen Problemen eine ganze Familie ins Unglück stürzen könnte, wäre da nicht eine beherzte Frau, die rechtzeitig die Reißleine zieht, wie überhaupt die Novellen der François gerne starke Frauen als Handlungsträgerinnen vorführen.
In der Titelgeschichte der Sammlung "
Natur und Gnade" (1876) erleben wir, wie die weibliche Hauptfigur sich gegen jesuitischen Fanatismus innerhalb einer gemischt-konfessionellen Ehe zur Wehr setzen muss - auch den religiösen Themen ihrer Zeit ist die Autorin nicht ausgewichen.
Aus der letzten Abteilung braucht auf die bekannteren Novellen, "
Der Katzenjunker" und "Phosphorus Hollunder", kaum hingewiesen zu werden, während das abschließende "Zu Füßen des Monarchen" (so heißt damals bei den Anrainern der Montblanc) noch einmal eine ganz andere Seite dieser Dichterin vor Augen führt.