Quote:
Originally Posted by Gudy
Ich zögere ja inzwischen ernsthaft ein wenig, mit Taylors One Day On Mars weiterzumachen, weil ich etwas Angst habe, was da noch alles auf mich zukommen mag.
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Joa, und deshalb habe ich erst einmal Cory Doctorows
For the Win eingeschoben. Das Buch baut die Idee der Kurzgeschichte
Anda’s Game aus
Overclocked aus, die eine der wenigen Kurzgeschichten Doctorows ist, die mir gefällt. Was ich in dieser Bestimmtheit von
For the Win nicht hundertprozentig sagen kann.
Das Buch thematisiert die Ausbeutung billiger, junger Arbeitskräfte (vornehmlich Kinder und ledige junge Frauen) in der Dritten Welt und die Zusammenhänge mit unserer Wohlstandsgesellschaft, vornehmlich am Beispiel von Gold Farmern in MMO-Spielen - Jugendliche, die für einen Hungerlohn 12 Stunden am Tag Spiele zocken, damit ihre Bosse das so gewonnene In-Game-Gold und Beutewaffen und -rüstungen für gutes Geld verscherbeln können. Genauer, was passiert, wenn diese Jugendlichen auf den Gedanken einer Gewerkschaft kommen, und nicht die dick-zufriedenen Gewerkschaften wie Verdi, und noch nicht einmal die immerhin noch kämpferische Lokführergewerkschaft. Nein, wir reden hier von Verhältnissen wo "Arbeitskampf" noch Leben kostet und wo "Pinkerton" ein absolutes Unwort ist. In gewisser Weise reiht sich das Buch in die Gesellschaft von
Little Brother,
Homeland und
Pirate Cinema ein, ist aber streckenweise noch blutiger und dunkler als
Homeland. Aus gutem Grund.
Die Sache will jedoch anfangs nicht so recht in die Gänge kommen - zu viele Charaktere und zu viele Handlungsstränge, von denen keiner genug Zeit abbekommt, machen das erste Drittel das Buches etwas zäh. Dann nimmt die Handlung jedoch endlich Fahrt auf und zeigt mit ein wenig Utopie, was alles möglich wäre, wenn Globalisierung nicht nur von den 1% sondern auch von den Ärmsten der Armen zu ihrem Vorteil genutzt würde, um sich in einer weltumfassenden Gewerkschaft zu organisieren. Dabei bleibt das Buch stets auf, oder zumindest nur knapp über, dem Teppich und schont weder seine Charaktere noch den Leser. Das Ende fand ich jedoch etwas schwach und abrupt. So sehr, dass ich nach dem letzten Mal umblättern des ePubs erst einmal die HTML-Version der Geschichte von craphound.com aufgemacht habe, um sicherzugehen, dass ich keinen kaputten Download erwischt hatte.
Hatte ich nicht. Was schade ist. Mir ist zwar klar, das ein Beenden aller Handlungsstränge in einem Happy End Für Alle nicht zu erwarten gewesen war, aber da wäre meiner Meinung nach trotzdem mehr drin gewesen. Eine etwas gedämpfte Leseempfehlung gibt es trotzdem von mir. Wer mit dem zähen Anfang leben kann und mit MMO-Jargon eher klar kommt als mit Kryptographie oder Videos, hat möglicherweise mehr von diesem Buch als von den oben genannten, auch wenn mir persönlich aus der Reihe
Little Brother immer noch am besten gefällt.