Tam Lin von Pamela Dean
Tam Lin ist eine schottische Ballade aus dem 16. Jahrhundert, die immer wieder als Inspiration für Romane und Kurzgeschichten dient, von denen einige die Handlung in ein modernes Setting verlegen. Obwohl die "Zutaten" immer ähnlich sind, unterscheiden die Ergebnisse sich auf überraschende Art. Es gibt jedoch normalerweise einen jungen Mann, dessen Name eine Variation von "Thomas" ist und ein Mädchen, das Janet oder Margaret (oder so ähnlich) heißt.
Alle sieben Jahre muss die Elfenkönigin einen Blutzoll an die Hölle entrichten und opfert zu diesem Zweck einen jungen Mann aus ihrem Gefolge. Es ist möglich, ihn zu retten, doch ganz trivial ist dieses Unterfangen nicht.
Pamela Deans Version der Ballade spielt in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts an einem amerikanischen College. Die 18jährige Janet schreibt sich in Blackstock ein, dem College, an dem auch ihr Vater als Dozent angestellt ist. Sie will englische Literatur studieren, doch ihre Mentorin versucht immer wieder, sie auf die "klassische Schiene" zu bringen. An Halloween in ihrem ersten Semester sieht sie abends eine seltsame Prozession von Reitern, außerdem wirft jemand - angeblich der Geist einer Studentin, die Selbstmord begangen hat - Bücher aus dem Fenster eines Schlafsaals.
Der Geist der toten Studentin ist zunächst der einzige Hinweis darauf, dass wir es hier mit einem Fantasy-Roman zu tun haben. Das Buch ist vor allem die Geschichte der Freundschaft dreier Mädchen, die im Studentenwohnheim "zusammengewürfelt" wurden und sich im Verlauf ihres Studiums zusammenraufen, und einer Clique von vier jungen Männern, ebenfalls Studenten, mit denen sie sich anfreunden. Manche Leser werden sagen, dass eigentlich gar nichts passiert und das Buch frustriert zur Seite legen. Janet und ihre Freunde diskutieren vor allem über Literatur, genießen ihr Studium und das Studentenleben allgemein. Es ist ein Buch für Leser, die gerne über andere Bücher lesen, denn, wie Janet so schön sagt: Was kann es Besseres geben, als vier Jahre lang am College nichts anderes zu tun als lesen?
Die Handlung steuert indessen auf einen dramatischen Höhepunkt zu, denn die sieben Jahre bis zum nächsten Blutzoll der Elfenkönigin sind am Ende von Janets viertem Jahr in Blackstock verstrichen.
Das Buch gewinnt beim Wiederlesen, da sich manche Dinge erst beim zweiten Durchgang erschließen, und es verträgt sicher auch noch einen dritten und vierten Durchgang (oder mehr). Am Ende sind einem die Figuren ans Herz gewachsen und man möchte mehr Zeit mit ihnen verbringen, was immer ein gutes Zeichen ist. Und man bekommt Lust auf weitere Versionen der Geschichte von Janet und Thomas, die auch in der Hinsicht erfrischend ist, dass es hier nicht um eine Prinzessin geht, die von einem Prinzen gerettet werden muss, sondern zur Abwechslung einmal umgekehrt. Für alle, die neugierig auf das Original geworden sind, ist die vollständige Ballade am Schluss des Buches abgedruckt.
(Lebensalter-Challenge, Bonus-Buch 1991, 5 Sterne)
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