Kluft, Lieder und Fahrten
- Was die Edelweißpiraten beliebt machte
HJ, Verbote und andere
widrige Umstände
Edelweißpiraten in
NS-Organisationen und der Wehrmacht
Die Edelweißpiraten nach
dem Krieg oder die „88er“
Die Ehrenfelder Gruppe – Edelweißpiraten?
Aktivitäten der Ehrenfelder Gruppe
Wer oder was sind eigentlich die Edelweißpiraten? Eine Frage, die sich den meisten stellt, wenn sie anfangen, sich mit dem Phänomen dieser Gruppe Jugendlicher auseinanderzusetzen, im Voraus bekannt sind sie den wenigsten.
Ich selbst hörte zum ersten Mal in einem Referat im Zusammenhang mit dem Jugendwiderstand im Nationalsozialismus etwas über die Edelweißpiraten. Im Gegensatz zum Widerstand der Geschwister Scholl war diesen Jugendlichen jedoch nur geringe Aufmerksamkeit in der Geschichtsforschung beschieden; wenn es doch einmal Berichte gab, wirkten diese teilweise auch noch widersprüchlich.
Die Differenzen in der Beurteilung der Edelweißpiraten sind enorm, es reicht vom Beispiel des Jugendwiderstands im Nationalsozialismus bis hin zum Ablehnungsgrund für eine Bewerbung, wie ein Bericht im Blog: „Gedanken des Hollarius“ zeigt. Dort heißt es, die Gründe, warum die Betroffene zum Vorstellungsgespräch gar nicht erst erscheinen müsse, seien »erstens ihre Vergangenheit als Pflegekind, und zweitens ihr Interesse eben für die Edelweißpiraten.«[1] (Es handelte sich um eine kirchliche Pflegeeinrichtung) Ähnliche Differenzen gibt es auch in der Geschichtsschreibung.
Will man die Bekanntheit der Edelweißpiraten „messen“, kann man den Begriff beispielweise in eine Internetsuchmaschine wie Google eingeben und erhält dabei etwa 41.000 Ergebnisse. Das klingt erst einmal nach einer ordentlichen Menge, vergleicht man es mit „Geschwister Scholl“, erscheint es gegenüber deren etwa 777.000 Ergebnissen jedoch eher sehr gering. Wenn man nun den Edelweißpiratenfilm aus dem Jahre 2004, der leider mehr durch Bela B. als Hauptdarsteller als durch seinen Inhalt Aufmerksamkeit erregte, herausnimmt und die Suchanfrage mit „-Bela B.“ erweitert, schrumpft die Zahl sogar auf „nur noch“ 29.000 zusammen.
Das ist wahrscheinlich hauptsächlich auf die kaum vorhandene Behandlung der Edelweißpiraten in der Fachliteratur und der historischen Diskussion zurückzuführen. Das mag zunächst etwas verwundern, da im Nachkriegsdeutschland doch jeder Bericht über Widerstand, der zeigte, dass es keine kollektive Anpassung an den Nationalsozialismus, sondern auch das sogenannte „andere“ Deutschland gab, Balsam für die gepeinigte Seele der Deutschen war. Doch fehlte den Edelweißpiraten die Klientel.
In der BRD wurde vor allem der bürgerliche und militärische Widerstand beachtet, wie die erwähnten Geschwister Scholl oder als Beispiel des militärischen Widerstand Claus Schenk Graf von Stauffenberg. In der DDR hingegen fand nur der kommunistische Widerstand Beachtung, wie der der KPD oder des Kommunistischen Jugendverbandes.
Keiner dieser Gruppen oder Personen soll hier ihr Anspruch auf Beachtung und Anerkennung ihrer Taten auch nur im Ansatz streitig gemacht werden, es geht lediglich um die Frage, warum die Edelweißpiraten bis in die neunziger Jahre warten mussten, um Beachtung zu finden.
Noch wichtiger mag die Frage der Bewertung der Edelweißpiraten sein, die bis heute im Allgemeinen von Widerstandskämpfern bis hin zur verbrecherischen Organisation reicht.
Am Anfang dieser Facharbeit möchte ich die Problematik der Quellenlage erörtern, die zwangsläufig Probleme bei der Beurteilung historischer Dokumente bereitet. Rein nominell betrachtet, ist die Quellenlage ziemlich gut, schließlich haben Organisationen wie die Gestapo oder Polizeiämter mit deutscher Gründlichkeit ihre Akten geschrieben. Einige wurden beim Einmarsch der Alliierten vernichtet, doch viele sind erhalten geblieben.
Jedoch ist hier eine kritische Betrachtung angebracht.
Formulierungen und Betrachtungsweisen waren hier wesentlich von der Ideologie
des Nationalsozialismus durchdrungen. So kann es leicht passieren, dass auf
Grund des Totalitätsanspruchs zum Beispiel Nonkonformismus bereits als
politischer Widerstand gewertet wird, auf Grund des Hasses auf den Kommunismus
vielleicht sogar als kommunistischer Widerstand. Außerdem eröffnet der
Tatbestand des politischen Widerstands dem Gestapobeamten weiterreichende
Handlungs- und Bestrafungsmöglichkeiten. Auch Bernd-A. Rusinek berichtet, dass
»vielfach das Treiben der Jugendlichen zur formellen und politischen Seite hin
übertrieben und verzerrt wurde – ein für politische Verfolgungsbürokratien
typischer Vorgang.«[2]
Ein weiteres Problem sind die Befragungsmethoden der Gestapo; es ist hinlänglich bekannt, dass in solchen Verhören Foltermethoden von mittelalterlicher Grausamkeit ebenso wenig wie Psychologische Folter Ausnahmen darstellten. So erwähnt z.B. Detlev Peukert, man habe sie »mit mittelalterlichen Methoden zum Sprechen bringen wollen, Anlegen von Daumenschrauben, Schlagen mit Gummiknüppel.«[3] Deswegen stellt sich die Frage, ob jedes Geständnis in den Gestapo-Akten ein echtes Geständnis oder nur die Flucht vor den Schmerzen darstellt. Auch die Formulierungen der Befragten lassen teilweise Zweifel aufkommen, ob sie wirklich vom Gefangenen so formuliert wurden oder von einem Gestapobeamten vorgegeben und mit einem erzwungenen Ja bestätigt wurden. »So erscheint es zweifelhaft, daß beispielweise Bartholomäus Schink im Gegensatz zu sonst kurzen Angaben plötzlich einen über 1 ½ Seiten führenden Monolog gehalten haben soll, zumal dies nachträglich nicht als „sein Stil“ bezeichnet wird«[4]. Ebenso zweifelhaft oder auch als bewusst falsch ausgesagt, scheinen Selbstverleumdungen wie »Ich muß hierzu bekennen, daß außer meiner Abenteuerlust der verderbliche Einfluß des „Hans“[5] viel dazu beigetragen hat, daß ich trotz meiner Jugend zu einem gefährlichen Verbrecher geworden bin.«[6]
Ein weiteres Problem der Gestapoakten ist die Verwendung der Begriffe „Bündische Jugend“ und Edelweißpiraten. Besonders Ersterer wurde von der Gestapo anfangs geradezu inflationär benutzt, da es der passendste Straftatbestand war, nachdem man die Edelweißpiraten verurteilen konnte, so konnte der Streifendienst (s.u.) Edelweißpiraten »der Gestapo vorführen, die sie wegen des Verdachts illegaler „bündischer Betätigung“ in der Regel verwarnte.«[7]. Der Begriff „Bündische Jugend“ trifft für die Edelweißpiraten auch nicht voll zu, sondern stiftete eher Verwirrung, da auch Angehörige andere Jugendgruppen (Leipziger Meuten, Swingjugend usw.) öfter als „Bündische“ bezeichnet wurden. Später wurde dann der Begriff „Edelweißpirat“ ein inflationär gebraucht Begriff, so war Gestapo-Akten zu Folge manchmal schon Edelweißpirat, wer »ohne Grund HJ-Angehörige überfällt und körperlich misshandelt«[8] oder auch »jeder jugendliche Eckensteher, der in den Jahren zuvor als Navajo, Kittelbachpirat oder „bündischer“ bezeichnet worden wäre, wurde jetzt zum Edelweißpiraten erklärt.«[9], ohne jegliche Beachtung der Gründe für dieses Verhalten.
Erst seit kurzem gibt es als weitere Quelle für Nachforschungen Biografien der direkt Beteiligten, also ehemaligen Edelweißpiraten. Jahrelang haben sie geschwiegen, teilweise wahrscheinlich verschreckt durch die Ergebnisse der Schadensersatzprozesse (s.u.), doch in den letzten Jahren erschienen immer mehr Biografien verschiedener Edelweißpiraten. Das Problem dieser Quellengruppe liegt in der Subjektivität der Schilderungen. Abgesehen davon ist es fraglich, ob die Erinnerungen und Erlebnisse Einzelner repräsentativ für eine Gruppierung stehen können, die mehrere tausend umfasste und in sich grundverschieden war.
Der
Begriff „Widerstand“ ist heutzutage ein sehr weitumfassender Begriff geworden, dies
zeigt sich schon an der Unzahl von gebräuchlichen Synonymen (zumindest im Bezug
auf Politik) wie Oppositionelles Verhalten, Protest, Nonkonformismus usw..
Damit muss zuerst die Frage gestellt werden, was denn nun Widerstand bedeutet,
bevor man sich der Frage zuwendet, ob die Edelweißpiraten Widerstandskämpfer
waren.
Die
verschiedenen Abstufungen und Bezeichnungen sind je nach Betrachtungsweise des
jeweiligen Autors verschieden gewählt. So stellt zum Beispiel Detlev Peukert in
seinem Buch „Edelweißpiraten“ den Widerstand als Entwicklungsmodell[10]
von Nonkonformismus/Politischer Opposition dar, der über die oppositionelle Handlung zu den
verschiedenen Formen des Widerstands führt.
Oft wird eine Unterscheidung zwischen passivem und aktivem Widerstand gewählt. Zum passiven Widerstand zählen die Resistenz gegenüber der nationalsozialistischen Propaganda und der Nonkonformismus. Zum aktiven Widerstand zählt meist offene Ablehnung des Regimes und natürlich die Mitarbeit an einem Attentat oder Sturz.
Der
Begriff klingt für das erste Mal etwas befremdlich. Das alpine „Edelweiß und
die maritimen „Piraten“ als krasser Gegensatz in einem Wort zusammenzufassen,
erscheint zunächst nicht nur unpassend, sondern auch etwas befremdlich.
Will
man die Etymologie des Wortes „Edelweißpirat“ genauer betrachten, muss man
zwangsläufig die Eigenschaften der jeweiligen Dinge genauer betrachten. Das
Edelweiß ist bekanntlich eine kleine, aber durchaus widerstandsfähige und
hartnäckige Pflanze.
Bernd-A.
Rusinek bietet in seiner Dissertation weitere Aspekte, die für den Begriff „Edelweiß“
sprechen. Zum einem sei es seit den 1920ern ein populäres Zeichen des
Alpintourismus, weshalb auch die Ensembles leicht zu bekommen seien.[11]
Außerdem könne es als beabsichtigt satirische Note gemeint sein, da das
Edelweiß einmal als Lieblingsblume des Führers bezeichnet wurde[12]. Ein
Beleg hierfür ist auch, dass das Edelweiß »1933 vom populären
Tenor Harry Steier als „des Führers Lieblingsblume“ besungen«[13]
wurde. (Das Lied wurde jedoch später von der Reichsmusikstelle in Nürnberg
verboten.[14])
Bei
dem Begriff „Piraten“ darf man freilich nicht die heutigen Vorfälle vor der
somalischen Küste betrachten, sondern muss sich fragen, wie Jugendliche wohl
zwischen 1939 und 1945 Piraten gesehen haben. Laut Thomas Häusler[15]
hatten die Piraten zwischen dem Ende des 17. und dem Anfang des 18.
Jahrhunderts den Höhepunkt ihres „Schaffens“ erreicht. Der Pirat William Fly
»prägt bis heute das Bild von den Seeräubern: ehr- und rechtlose wilde Gesellen
ohne Skrupel.«[16]
Jedoch revidiert Thomas Häusler dieses Bild im weiteren Verlauf des Artikels
und zitiert z.B. einen Kapitän aus dem Jahre 1728: »(...), sie waren unter sich
äußerst gerecht.«[17]
Des Weiteren wird berichtet, dass Piraten »ihren Kapitän demokratisch wählten
und jederzeit absetzen konnten, wenn er sich als autokratisch erwies«[18]
und dass in einer Zeit in der auf dem Festland der Absolutismus herrschte.
Somit könnten die Piraten als Symbol für Freiheitskämpfer gegen die
Unterdrückung angesehen werden.
Was
folgt daraus nun für unseren oben genannten Begriff „Edelweißpirat“? Die
Edelweißpiraten waren zwar durchaus zahlreich, verglichen mit dem
Unterdrückungsapparat der Nationalsozialisten jedoch in schier unendlich
erscheinender Unterzahl, außerdem waren die meisten von ihnen Jugendliche und
damit allein auf Grund ihres Alters kaum in der Lage, der Erwachsenenwelt
gegenüber politisch wirksamen und spürbaren Widerstand zu leisten. Die
verschiedenen Gruppen gab es bis zum Ende des II. Weltkriegs, keine noch so
harte Repressionsmaßnahme konnte ihnen endgültig den Garaus machen. Klein und
widerstandskräftig, unser Edelweiß. Außerdem waren sie Piraten, denn sie
wollten Freiheit statt der gnadenlosen Unterdrückung von oben und wählten
deswegen ein Leben, das in den Augen der Machthaber verbrecherisch war. Und so
kommen wir zu der Verschmelzung zweier eigentlich nicht so richtig
zusammenpassender Begriffe - Der Edelweißpirat.
Es ist jedoch fraglich, von wem der Name überhaupt erfunden worden ist. Da die Edelweißpiraten keine feste Organisation, sondern ein Sammelbegriff für mehrere Gruppen waren, gibt es natürlich keine Gründungsurkunden oder Ähnliches. Viele Gruppen nannten sich Edelweißpiraten, laut Kurt Schilde ist es »zu vermuten, dass er eine Schöpfung der Verfolgungsbehörden ist«[19], sie beruft sich hierbei auf ein Dokument des Jugendführers des deutschen Reiches: Wegen der Angewohnheit der Gruppen, ein Edelweißemblem zu tragen, »wurde diesen der Name „Edelweißpiraten“ bzw. „Edelweißclub“ (...) gegeben.«[20] Der Begriff Pirat wurde wahrscheinlich aus den bekannten Kittelbachpiraten entlehnt. Verbreitet wurde der Name dann durch Verfolgung, Gerüchten u.Ä.
Erzählungen über die Lieder und Fahrten der verbotenen bündischen Jugend hatten, egal ob von den Eltern oder von Hitlerjugend (HJ) -Führern, immer einen gewissen Werbeeffekt für die Edelweißpiraten. Auch Berichte und Warnungen über die Edelweißpiraten taten ihr Übriges. Übertreibungen, die eigentlich Angst erzeugen sollten, konnten leicht in romantische Ehrfurcht münden. Wenn von Verwahrlosung gesprochen wurde, träumten die Jugendlichen von Freiheiten, sprach man von der Gefährlichkeit der Gruppen, träumten die Jugendlichen davon, auch so stark zu sein.
Verschiedene Maßnahmen des NS trugen ebenso zur Verbreitung
des Namens, aber auch des Stils und der Art der Organisation bei. So kamen die
Edelweißpiraten durch Maßnahmen wie dem Reichsarbeitsdienst, Einzug für die
Wehrmacht, Wehrertüchtigungslager, Evakuierungen oder Kinderlandverschickungen[21]
in verschiedene Teile des Reiches und verbreiteten ihren Name und ihre „Kultur“.
Eine Entstehung der Edelweißpiraten ist nur schwer zu bestimmen; es waren kleine Gruppen, die sich spontan bildeten, eine wirkliche Gründung oder dergleichen gab es nicht. In den Gestapoakten wurden sie auf Grund ihrer Kluft und ihres Liedguts oft als Fortführung der sogenannten „Bündischen Jugend“, ein Sammelbegriff für die diversen Jugendbewegungen in der Weimarer Zeit, die sich teilweise großer Beliebtheit erfreuten, bezeichnet. So erzählt Helmut Schmidt, dass es 1932 »unter den Jungen unserer Schulklasse Mode geworden« war, »in die bündische Jugend einzutreten, und Anfang 1933 war wohl die Hälfte der Jungen Mitglied in einem der Jugendbünde. Dabei empfanden wir übrigens keinen großen Unterschied zwischen der damaligen SAJ[22] …, den Republikanischen Pfadfindern, der Deutschen Freischar, der Freischar der Jungen Nation, dem Nerother Wandervogel und so weiter.«[23] Diese hatten besonders nach der Ruhrbesetzung durch Frankreich großen Zulauf aus der Arbeiterjugend.
Entstanden sind die Edelweißpiraten größtenteils aus verschiedenen Wandergruppen und den Kittelbachpiraten. Die Kittelbachpiraten (Meist mit K.P. abgekürzt) waren als Gruppe keiner politischen Richtung zuzuordnen, es gab Prügeleien mit der SA gegen Kommunisten, aber teilweise prügelten sie sich auch mit der SA selbst. So schrieb nach einer Razzia bei den Kittelbachpiraten in Wolfsberg bei Hüls die Rheinische Landeszeitung am 15.10.1936: „Wie erinnerlich, haben die Kittelbachpiraten vor der Machtübernahme Seite an Seite mit unserer SA gegen die Kommune gekämpft. Nach der Machtübernahme wurde durch die Verordnung des Reichspräsidenten vom 28.2.1933 der Bund der Kittelbachpiraten aufgelöst. Die guten Elemente schlossen sich dann auch sofort der HJ an. Das Grobzeug verharrte aber in Ablehnung gegen die Staatsjugend.“[24] Als jedoch mit der Ernennung der HJ zur Staatsjugend die »Auflösung oder Einschmelzung der bündischen, konfessionellen und politisch-gegenrisch eingestellten Jugendverbände«[25] begonnen wurde, wurden diese Gruppen zerschlagen. Aus den Mitgliedern dieser Gruppen, die sich nicht der HJ anschließen wollten, entstanden die ersten Edelweißpiraten, die sich damals, wie bereits erwähnt, noch nicht so nannten. Die ersten Edelweißpiraten hatten folglich viele verschiedene Namen, wie Kanalpiraten, Fahrtenstenze, Ruhrpiraten und viele andere.
Obwohl die Edelweißpiraten keine Fortführung der Bündischen Jugend sind, finden sich doch in ihren Verhaltensweisen und Traditionen viele Verbindungen zur bündischen Tradition.
Die sogenannte Fahrtenkleidung (Kluft) der Edelweißpiraten zeigte die deutlichsten Parallelen auf; als Hemden wurden meiste bunte Fahrten-, aber auch Schotten- und Schihemden getragen, außerdem eine kurze (Leder-)Hose, manchmal auch noch die alten HJ-Hosen. Dazu trug man meist weiße Socken mit Stiefeln oder auch Bundschuhen; dazu oft Halstücher und natürlich das namensstiftende Edelweißemblem, oft am Revers getragen, durfte nicht fehlen. Wenn es kälter war, trug man oft weiße Pullover, Kletterwesten oder Windjacken. Die typische Kleidung der Mädchen war meist mit weißen Blusen, blauen Röcken und weißen Söckchen bekleidet. Die »Edelweißpiratinnen trugen ihr Haar ungebunden und schmückten sich mit ihren Abzeichen. Damit durchbrachen sie die im Nationalsozialismus starr vorgeschriebene Geschlechterrolle, die für BDM-Angehörige Schmucklosigkeit und den „deutschen“ Zopf vorschrieb.«[26]
Musik war ein wichtiger Integrationsfaktor, es wurde so oft gesungen, wie es ging. Teilweise zogen die Edelweißpiraten singend durch die Straßen oder gingen singend auf Wanderfahrt, meist begleitet mit einer Klampfe[27]. Gesungen wurde vieles - normale Lieder oder Schlager, eigens umgedichtete Versionen oder auch komplett selbst erfundene Lieder, oft auch systemkritische Texte wie:
An Rhein und Ruhr
marschieren wir,
für unsere Freiheit kämpfen wir,
den Streifendienst, schlagt ihn entzwei,
Edelweiß marschiert, Achtung die Straße frei[28]
Noch vor der Musik bildeten jedoch die gemeinschaftlichen Wanderfahrten den wahrscheinlich wichtigsten Aspekt. Die Ziele variierten je nach Herkunft der jeweiligen Edelweißpiratengruppe. Die Kölner Edelweißpiraten fuhren gern ins „Ammerländchen“ bei Rösrath, die Düsseldorfer zum „Blauen See“ bei Ratingen und die Duisburger und Essener machten ihre Ausflüge am liebsten zum sogenannten Entenfang, ein kleiner See, der noch heute ein beliebtes Ziel von Wandergruppen ist. Diese Unternehmungen wurden in kleiner Gruppe geplant, ohne Beiträge und Listen, es wurde einfach zusammen „ins Grüne“ gefahren. Auf den Fahrtenzielen wurde dann gebadet, gezeltet oder einfach nur gemeinsam gesungen. Unklar ist, ob es auf diesen Fahrten zu sexuellen Ausschweifungen gekommen ist, so erwähnt die Gestapo (die glaubte, die weiblichen Mitglieder hätten in der Gruppe lediglich eine Funktion als Sexualobjekt) in einem Bericht: »Zwischen den beiden Geschlechtern herrschte ein Umgangston und eine Umgangsform, die jeglichen Anstands entbehrte. Vielfach lagerten und badeten die Jugendlichen beiderlei Geschlechts vollständig nackt zusammen«[29]. Allerdings gab es teilweise sogar »in der Clique später Ehen«[30] und ein Kölner Jugendrichter formulierte in einem Bericht, dem wahrscheinlich mehr Objektivität beigemessen werden kann: »Es sind weder (...) noch geschlechtliche Ausschweifungen (Swingbewegung) festgestellt worden, wenn auch bei den Treffs und Fahren gelegentlich Knutschereien vorkommen mögen«[31]
Jedoch ist es durchaus anzunehmen, dass für viele Jungs und Mädchen die Möglichkeit auch mit dem jeweils anderen Geschlecht freizeitliche Tätigkeiten zu unternehmen einen starken Anreiz bot, waren doch die Geschlechter in den NS-Organisationen durch HJ und BDM strikt voneinander getrennt.
Eine Organisation, die diesem Begriff gerecht wird, gab es bei den Edelweißpiraten eigentlich nicht. Die verschiedenen Cliquen waren in der Regel eher spontane Zusammenschlüsse und normalerweise lokal beschränkt; so hatten z.B. große Städte im Ruhrgebiet oft mehrere Edelweißpiratengruppen, die sich stadtteilweise zusammenschlossen.
In den einzelnen Gruppen gab es im Normalfall weder Listen der Mitglieder noch gab es Beiträge, nur zu Fahrten wurden manchmal temporäre Reisekassen gebildet. Dieser „Missstand“ rettete jedoch wahrscheinlich einigen Edelweißpiraten das Leben, schließlich gab es logischerweise auch gegen sie Razzien und Ähnliches der Gestapo. Hätte diese dabei eine Mitgliederliste gefunden, hätten sie sofort alle Beteiligten aufspüren und verhaften können, so trug diese „Unordentlichkeit“ dazu bei, der Gestapo das Leben schwer zu machen.
Ein weiterer Aspekt, der den NS-Behörden die Verfolgung erschwerte, waren die Rufnamen in der Gruppe. Oft kannten sich die Einzelnen nicht einmal beim richtigen Namen und riefen sich nur mit den in vielen Cliquen ähnlichen Spitznamen, wie Jonny, Texas-Jack, Alaska-Bill, Whisky-Bill, Kanera, Hatte, Fatz, Bobby, Jumbo, Sonny Boy oder Schwarze Hand.
Auch einen Dachverband der alle Edelweißpiratencliquen zusammenhielt und organisierte gab es nicht, dazu fehlte überregional der Kontakt und regional der Konsens. Teilweise war das Revierverhalten der Gruppen so stark, dass es zu Schlägereien zwischen zwei Edelweißpiratengruppen verschiedener Stadtteile kam. Sie waren sich jedoch ihrer Gemeinsamkeiten bewusst und konnten sich durchaus gegen gemeinsame Feinde wie die HJ zusammenschließen.
Trotzdem gab es von Seiten der NS-Organisationen immer wieder Befürchtungen ein solcher Dachverband könnte existieren bzw. entstehen. So notiert die Gestapostelle Düsseldorf im Dezember 1937 »Wenn diese auch in den wenigsten Fällen als organisatorisch fest zusammenhängend betrachtet werden können, so besteht doch die Möglichkeit, daß sie sich enger zusammenschließen und so ein Instrument bilden, dass in der Hand einiger staatsfeindlicher Elemente eine Gefährdung der Jugend und damit auch des Staates bedeuten würde.«[32]. Eine Befürchtung die mit der Zeit nicht abnahm, so heißt es in einem Lagebericht der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf 1943: »Als die Zusammenrottung der Piratenjugend größeres Ausmaß annahmen und die Gefahr bestand, daß diese Jugendgruppen politischen Gegner Anlaß geben könnten, sie als willkommene Basis für ihre Zersetzungsabriet auszunutzen, wurde von der Staatspolizeileitstelle Düsseldorf eine systematische vertrauliche Überwachung herbeigeführt«[33]. Diese Angst wurde noch zusätzlich von Edelweißpiraten geschürt, die sich damit brüsteten angeblich Geld für Überfälle auf die HJ zu bekommen. Die Befürchtungen der Gestapo war nicht einmal abwegig, die KPD hatte wahrscheinlich durchaus Interesse an den Edelweißpiraten, jedoch passte deren Ablehnung der HJ gegenüber nicht in den Plan der KPD, die HJ kommunistisch zu unterwandern und so dem NS den Nachwuchs zu entreißen.
Oft variierten die verschiedenen Gruppen auch in ihren Mitgliedern, vor allem durch den Reichsarbeitsdienst (RAD), Einberufung in die Wehrmacht[34], Verhaftungen oder Todesfälle in Folge von Bomberangriffen oder Folter. Im Falle der Einberufung wurden unter Edelweißpiraten oft sogar kleine Abschiedsfeiern gehalten.
Im Bezug auf das Alter waren die Edelweißpiraten eine eher homogene Gruppierung, sie rekrutierten sich beinahe vollständig aus Jugendlichen, vor allem nach 1941 als immer jüngerer Männer an die Front eingezogen wurden und sich somit das Durchschnittsalter der Edelweißpiraten merklich senkte. Besonders stark waren die Jahrgänge 1925-1927 vertreten, die 1941 also erst 16 Jahre alt waren und damit vorerst noch zu jung für den Kampfeinsatz waren. (»62% der Vernommenen in den Jahren 1942 bis 1945 gehörten diesen Jahrgängen 1925, 1926 und 1927 an«[35])
Die Hitlerjugend und deren weibliche Unterorganisation, der Bund deutscher Mädel (BdM), hatten als nationalsozialistische Jugendorganisation die Aufgabe die Jugend auf die richtige, also die nationalsozialistische Bahn zu bringen. Dazu wurden die Kinder bereits im Kindesalter im Jungvolk gesammelt, kam von dort aus direkt in die Hitlerjugend um dann später direkt zum RAD, der Wehrmacht, der SS oder anderen NS-Organisationen „weiter gereicht“ zu werden, ganz wie Hitler es in seiner „Rede an die Jugend“ forderte: „Musse mal gucke“[36]. Die Wichtigkeit der Jugend basierte auch auf ideologischen Gründen, schließlich bezeichnet sich der Nationalsozialismus selbst als „Junges Deutschland“. Der Eintritt in die HJ war Pflicht[37], somit ist es nicht verwunderlich, dass der Großteil der Edelweißpiraten aus der HJ kam, da »bis 1939 bald 90 Prozent aller Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren in der Hitlerjugend«[38], wenn auch nicht zwingend ideologisch, zumindest auf dem Papier Mitglied war. Die fehlenden zehn Prozent sind wahrscheinlich vor allem durch Ausschlüsse zu erklären, da einem in der HJ oft schon für geringe Vergehen die Mitgliedschaft entzogen wurde.
Als Nachwuchsorganisation eines totalitären Regimes hatte die HJ ebenfalls den totalitären Anspruch, die gesamte Jugend zu kontrollieren. Insofern konnte jegliches Verhalten, dass gegen die HJ gerichtet war, nur als systemfeindlich angesehen werden, schließlich war die HJ existentieller Teil dieses Systems. Folglich gingen die NS-Unterdrückungsorganisationen hart gegen das Treiben der Edelweißpiraten vor, die den Anspruch hatten ihre Freizeit außerhalb der HJ zu gestalten.
Anfangs brachten die meisten Jugendlichen der HJ wahrscheinlich noch Sympathien entgegen - eine Jugendorganisation mit paramilitärischem Charakter war für viele Jungs mit Sicherheit anziehend; zu diesem Zeitpunkt glaubten sie allerdings noch an die Möglichkeit einer freien Entwicklung neben der HJ. Als diese Hoffnung mit dem Hitlerjugendgesetz am 1. Dezember 1936 vernichtet wurde, regte sich der erste Widerstand.
Zuerst übernahm die HJ noch einige der verschiedenen bündischen Sitten und band Führer bündischer Jugendorganisationen ein, denn ohne diese „Bündischen Elemente“ (später ein Name für verfolge Edelweißpiraten) wäre der Aufstieg der HJ wahrscheinlich nur schwer möglich geworden. Nachdem die HJ Staatsjugend war, änderte sich dies rasch und es wurde versucht, die „bündischen Triebe“ auszuschalten. Z.B. war »die HJ Publizistik (...) ab 1936 voll von Polemiken gegen „bündische Zersetzung“, und die staatliche Verfolgung illegaler bündischer Gruppen wurde forciert.“[39] HJ-Führer, die ehemalige Bündische waren, wurden aus den leitenden Stellen abgesetzt, meist mittels Denunziation wegen Homosexualität.
Die Gründe für den Austritt aus der HJ und dem Eintritt in das gefährliche geheime und illegale Gruppenleben der Edelweißpiraten waren vielfältig. Anfangs konnte die HJ viele Jugendliche begeistern, vor allem durch Fahrten und Wanderungen, aber auch durch das Ausnutzen jugendlicher Sehnsüchte wie der Unabhängigkeit von den Eltern, dem paramilitärischen Charakter oder dem Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit. Einige Jugendliche verließen die HJ, da sie sich nicht mit dem Prinzip der unbedingten Disziplin und des unbedingten Gehorsams anfreunden konnten, doch auch ganz unideologische Gründe waren dabei, wie z.B. Enttäuschung weil man einen begehrten Posten nicht erhalten hat. Doch auch hier waren die Ansichten der verschiedenen Gruppen unterschiedlich, so hieß es in einem Treueeid einer kölschen Edelweißpiratengruppe: »Ich schwöre, daß ich den Edelweißpiraten Treue und Gehorsam leiste. Weiter, daß ich mich voll und ganz für sie einsetze, wenn nötig sogar mit meinem Leben.«[40] In diesem Falle scheint die Disziplin kein Anstoßpunkt gewesen zu sein.
Besonders groß war der Zulauf nach Kriegsbeginn und noch einmal verstärkt nach 1941, da der Krieg der HJ einigen Schaden zufügte. So wurden deren Möglichkeiten sehr begrenzt, da fähige und ältere Jugendführer n den Krieg zogen und jüngere, unerfahrenere und oft auch unfähige Jugendführer an deren Stelle traten. So waren die »Proletarischen Führertypen der „Kampfzeit“ (...) nicht mehr in der Jugendarbeit aktiv«[41] und es wurden z.B. Oberschüler Lehrlingen voran gesetzt und man sollte als Älterer einem eventuell wesentlich Jüngeren gehorchen. Hinzu kam, dass »den HJ-Angehörigen (…) das „auf-Fahrt-gehen“ mit Rücksicht auf die Anspannung der Verkehrsverhältnisse verboten«[42] wurde, während die Edelweißpiraten weiter ihre Ausflüge machten. Jugendherbergen wurden teilweise der Wehrmacht als Kasernen zur Verfügung gestellt.
Dieser Gefahr wurde der HJ-Streifendienst entgegengestellt, dessen Aufgabe es war die innere Disziplin der HJ und andere Jugendlicher zu überwachen. Vor allem mit diesem kollidierten die Edelweißpiraten oft, da er als Kontrollorgan der HJ natürlicher Gegenspieler der Edelweißpiraten war. Jedoch lag bereits hier ein Problem. Schließlich war der Streifendienst meist gleichaltrig den Edelweißpiraten gegenübergestellt, beanspruchte jedoch unbedingten Gehorsam. Dies wollten sich viele nicht bieten lassen und dies vertiefte die gegenseitige Abneigung nur noch. Eine Aufgabe des Streifendienstes war das Unterbinden von Fahrten der Edelweißpiraten, da der HJ durchaus bewusst war, dass diese Fahrten einen Hauptanziehungspunkt der Edelweißpiraten für die Jugendlichen darstellten. Eigentlich mussten die Gruppen sog. »Fahrtenerlaubnisscheine«[43] besitzen, um auf Fahrt gehen zu dürfen, diese wurde von der Polizei oder eben dem Streifendienst kontrolliert. Wurden die Edelweißpiraten bei einer illegalen Fahrt erwischt, gab es oft Schlägereien mit dem Streifendienst, bei denen Letzterer oft wegen der zahlenmäßigen Unterlegenheit den Kürzeren zog, was wiederum den Ruf der Edelweißpiraten nur verstärkte. So hieß es in einem Kommentar der HJ zu zwei Denunziationsschreiben der Babcock-Werke vom 11. Juni 1941: »Dann noch zu Ihrer Kenntnisnahme, daß ich in letzter Zeit häufig Besuche von Müttern bekomme, die ihre Jungen nicht mehr in den Abendstunden zum Hitler-Jugend-Dienst schicken wollen. Sie begründen das damit, daß es jetzt wiederholt vorgekommen sei, daß Hitler-Jugend und sogar Hitler-Jugend-Führer in Uniform von den genannten KP. Leuten überfallen worden sind.«[44] Die HJ hatte jedoch viele Vorteile. So übergab sie Festgenommene der Gestapo oder der SA, unterhielt teilweise sogar eigene Prügelkeller. Der Streifendienst scheint hier jedoch ab und zu seine Kompetenzen überschätzt zu haben, so zitiert Alfons Kenkmann den Chef der Sicherheitspolizei, dass »sie auf keinen Fall damit rechnen können, in irgendeiner Weise Polizei zu spielen.«[45]
Ein weiteres Problem waren die vielseitigen Verbote im Dritten Reich, wie das bereits erwähnte Fahrtenverbot. So wurden auch Liederbücher mit bündischen Liedern verboten, Nicht-HJ-Mitglieder durften sich nicht in Jugendherbergen aufhalten, das Besuchen von Tanzveranstaltungen oder Lokalen wurde Jugendlichen verboten, das Kino war für Besucher unter 18 tabu, ebenso das Varieté für Jugendliche unter 21; auch der Genuss von Alkohol und Tabak war untersagt. Berücksichtigt man außerdem den sehr dehnbaren Straftatbestand des „Herumtreibens in Dunkelheit“, wurde praktisch fast das gesamte Freizeitverhalten der Jugendlichen zum Verbrechen deklariert, folglich verwundert es nicht, dass in dieser Zeit die Fälschungsdelikte anstiegen, da die Jugendlichen ihr Alter „nach oben korrigieren“ wollten.
Doch nicht einmal in der Ablehnung der HJ gegenüber waren sich die Edelweißpiraten untereinander einig. So gab es durchaus auch Anhänger der Edelweißpiraten, die nicht aus der HJ ausgetreten sind, sondern sich ganz im Gegenteil noch aktiv daran beteiligen. So berichtete ein Edelweißpirat: »Augenblicklich hat K. mit der HJ viel zu tun, da er Schulungsleiter von Dortmund ist und später in den Bann rücken will. Er will zusehen, dass du auch einen anständigen Führerposten bekommst. Ich bin schon Fähnleinführer beim Jungvolk geworden.«[46]
Die Edelweißpiraten vertraten auch nicht eine allgemeine pazifistische Grundeinstellung; so war »Kritik junger Edelweißpiraten an den nationalsozialistischen Kriegszielen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs bis weit in das Jahr 1943 (...) die Ausnahme.«[47]
Außerdem meldeten sich nicht wenige von ihnen freiwillig zur Wehrmacht oder auch zur Waffen-SS. In der Wehrmacht war vor allem die Kriegsmarine ein begehrtes Ziel, dies mag mit romantischen Vorstellungen von Abenteuerwünschen oder auch dem Traum vom Entdecken fremder Länder zusammenhängen, vielleicht auch mit der Tatsache, dass viele Edelweißpiraten aus dem Arbeitermilieu und damit oft aus technischen Berufen stammten und damit eine Begeisterung für die riesigen Kriegsschiffe aufbringen konnten. Überraschend ist es trotzdem, da die deutsche Marine oft schwere Verluste z.B. gegen das auf See überlegene Großbritannien einfuhr oder wie bei der Invasion Norwegens im Zuge der Operation „Weserübung“.
Die Technikbegeisterung dürfte auch ein Grund für Meldungen zur Waffen-SS sein, die als modern und gut ausgerüstet propagiert wurde und auch einige motorisierte Verbände unterhielt. Auch der „elitäre“ Charakter der Waffen-SS mag große Anziehung auf Jugendliche gehabt haben und griff das »unter den Arbeiterjugendlichen wie den Edelweißpiraten weit verbreitete „Machismo“-Gehabe auf.«[48]
Ein wichtiger Punkt war natürlich auch die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs durch das Erringen der Offizierswürde, das für die Arbeiterjugendlichen möglich geworden war, da die Wehrmacht »seit 1942 weitgehend auf die Primarreife oder das Abitur als Voraussetzung für den Eintritt in die Offizierslaufbahn verzichtete.«[49] Dabei gab es anfangs keine Auffälligkeiten betreffend Gehorsam und Ähnlichem, erst »in der „turbulenten Endphase“ des NS-Regimes 1944/45 desertierte eine ganze Reihe von ihnen.«[50]
Natürlich wurden die Edelweißpiraten wie alle oppositionellen Gruppierungen des Dritten Reiches verfolgt, sowohl durch den bereits erwähnten Streifendienst der HJ als auch durch die Verfolgungsorgane des NS-Regimes, wie der Gestapo oder auch einfach der normalen Polizei.
»Überwachung und Bekämpfung der Cliquen sind kriegswichtig«[51] konstatiert Heinrich Himmler in seinen Erlassen zur „Bekämpfung jugendlicher Cliquen“ fest, folglich wird der Verfolgung dieser „Cliquen“ hohe Priorität eingeräumt und harte Strafen zur Abschreckung vollstreckt, so muss »gegen Anführer und aktive Teilnehmer (...) u.U. mit aller Schärfe eingeschritten werden, insbesondere gegen Erwachsene und Ausländer sowie in Fällen, in denen zum Zwecke der Abschreckung ein warnendes Beispiel gegeben werden muß. Ihre sofortige Entfernung aus der Öffentlichkeit wird in der Regel erforderlich sein.«[52]
Dies schließt bereits die volle Bandbreite der den NS-Organisationen zur Verfügung stehenden Bestrafungsmöglichkeiten ein, von der Entlassung über Folter und Haft bis hin zur Hinrichtung. Letzteres kam im Falle der Edelweißpiraten jedoch selten vor. Im besten Falle genügte der Polizei eine »unter Beteiligung der Eltern ausgesprochene Ermahnung«[53], wenn der betreffende Jugendliche strafrechtlich noch nicht erfasst war.
Zusätzlich gab es spezielle Lager für Jugendliche, in Erziehungslagern versuchte man die auffällig gewordenen innerhalb drei Monate durch straffe Erziehung wieder auf den Pfad des NS zu bringen. »In Fällen schwerster Gefährdung oder Verwahrlosung kann die Einweisung des Jugendlichen in ein Jugendschutzlager nach den geltenden Bestimmungen beantragt werden.«[54] Als letztes Mittel gab es dann sogar sogenannte Jugend-KZs, wie das KZ in Moringen.
Das Jugend-KZ in Moringen bot 1000 Insassen Platz und war wie alle KZs ummauert, umzäunt und bewacht. Bei 800 Inhaftierten betrug das Lagerpersonal 150 Personen, davon 80-90 als Wachen und 12 Erzieher. Doch im Gegensatz zu normalen KZs strafen die Wachmannschaften Fehlverhalten der Insassen nicht, sondern melden es den Erziehern. Sinn war es, »die Insassen nach kriminalbiologischen Gesichtspunkten zu sichten, die noch Gemeinschaftsfähigen so zu fördern, daß sie ihren Platz in der Volksgemeinschaft ausfüllen können und die Unerziehbaren bis zu ihrer endgültigen anderweiten Unterbringung zur Ausnutzung ihrer Arbeitskraft zu verwahren.«[55] Arno Klönne zieht in seinem Werk „Jugend im dritten Reich“ ein passendes Fazit: »Das Jugend-KZ als konsequentes Mittel der Hitlerjugendsozialisation – das war am Ende aus dem Anspruch auf die Volksgemeinschaft geworden.«[56]
Teilweise wurden die Jugendliche später in normale KZs überführt, nur 6-8% galten als „erziehungsfähig“ und wurden zum RAD oder dem Wehrdienst gegeben.
Die Edelweißpiraten der Nachkriegszeit werden in der Geschichtsschreibung öfter als die „88er“ bezeichnet, eine sehr befremdende Bezeichnung, schließlich steht 88 für „Heil Hitler“[57] und erscheint wenig passend für eine Gruppierung die im Deutschland des NS verfolgt wurden. Die 88 wird heute häufig in der Neonazi-Szene auf Kleidung oder Ähnlichem getragen.
Anfangs organisierten sich viele Edelweißpiraten in der FDJ[58], da sie auf Grund ihrer gemischt geschlechtlichen und eher losen Organisation es den Edelweißpiraten am Ehesten ermöglichte, ihren Stil auszuleben. Als jedoch mit wachsendem Einfluss der KPD die politische Seite immer mehr in den Vordergrund rückte, kehren die meisten Edelweißpiraten der FDJ wieder den Rücken.
Die Mobilität nach dem Krieg ermöglichte zwar eine Verbreitung der Bräuche der Edelweißpiraten, doch konnten sich viele nicht in die neuen Gegebenheiten einfügen. »Die Auflehnung, die sie gegenüber den Nazis beseelte, wandelte sich beinahe über Nacht in Trotz gegen die Besatzungsbehörden.«[59], statt mit der HJ gab es nun Prügeleien mit den Besatzungstruppen oder Auseinandersetzungen mit Ausländern, vor allem jüdischen oder polnischen DPs (Displaced Persons).
Oft gab es auch starke nationalistische Tendenz, »Man verstand sich als eine Art deutsche Bürgerwehr.«[60]Auch die Texte ihrer Lieder passten sich an: »wenn die Fahrtenmesser blitzen, und die Polenschweine flitzen, und die Edelweißpiraten greifen ein. Eins kanns nur geben, Tod oder Leben, wir wollen freie Deutsche sein«, » Dort liegt das Lager der Edelweißpiraten, Deutsche Jugend kommt in uns’re Reih’n«[61]
Die Militärgerichte der Besatzungszonen gingen hart gegen die Edelweißpiraten vor, vor allem da die Besatzungsmächte die Edelweißpiraten wegen ihrer feindlichen Haltung der Alliierten gegenüber als Nazis sahen und folglich befürchteten, es könnte sich um Werwölfe[62] handeln. Teilweise kam es sogar zur Todesurteilen, begründet mit Waffenbesitz oder »Aktivität bei den Edelweißpiraten – eine Organisation, die nach Meinung des Militärgerichts den Frieden in Europa bedrohte!«[63] Besonders viele Werwolf-Urteile gab es in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ).
Die Edelweißpiraten gaben auch Anlass zu der Vermutung, nationalsozialistisch eingestellt zu sein, so »provozierten sie angehörige der FDJ mit dem Singen des „Horst-Wessel-Liedes“«[64], dazu die bereits erwähnte Gewaltanwendung gegen DPs und nicht zuletzt wurde »die „88“ (...) letztendlich zum neuen Abzeichen und Sinnbild der Edelweißpiraten …, als Ersatz für die Edelweißblume.«[65]
Wie eine Ironie des Schicksals mutet die Suche nach den nie existierenden Hintermännern an. Während die Gestapo nach kommunistischen Fädenzieher suchte, vermuteten die Alliierten ausgerechnet faschistische. Die BRD hingegen suchte nach 1949 wieder nach kommunistischen Hintermännern, während in der DDR weiterhin faschistische oder kapitalistische gesucht wurden. In beiden Teilen Deutschlands war man der Überzeugung, die Edelweißpiraten wären von der jeweils anderen Seite gesteuert.
In den Entschädigungsverfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) wurden die Edelweißpiraten nicht erwähnt, mit der Ausnahme der Ehrenfelder Gruppe (s.u.).
Die Kölner Kontroverse dreht sich um die sogenannte „Ehrenfelder Gruppe“ (vom Stadtteil Köln-Ehrenfeld) und ihre Bewertung. Uneinig sind sich die Historiker einerseits, ob die Ehrenfelder Gruppe als Teil der Edelweißpiraten zu bezeichnen ist und andererseits ob, unabhängig von Ersterem, diese Gruppe zum Widerstand zählt oder einfach nur einen Zusammenschluss mehrerer Krimineller darstellt.
Die Ehrenfelder Gruppe wird oft auch Steinbrück Gruppe genannt, da sich die Mitglieder der Gruppe um Hans Steinbrück scharrten. Dieser war alles andere als ein Antifaschist, im Gegentei: Er hat den NS stets bejaht[66] und hatte in der Volksjugend eine führende Tätigkeit inne. 1942 bewarb er sich sogar bei der Gestapo[67] und machte kurz darauf den folgenschweren Fehler, sich bei der Wohnungssuche als Gestapobeamter auszugeben, obwohl er das Ergebnis seiner Bewerbung noch nicht kannte. Er kam wegen Amtsanmaßung ins Gefängnis und später ins KZ Buchenwald, wo er einem Bombenräumkommando unterstellt wurde unter dessen Befehl er etwa 900 Blindgänger entschärft hat[68] - was ihm den Spitznamen „Bombenhans“ einbrachte.
Nach seiner Flucht kam er bei Cäcilie S. unter mit der er ein Liebesverhältnis hatte, ihr Mann war an der Front. Zuerst lebte er nur von ihrer Unterstützung, später arbeitete er schwarz. Er versuchte an gefälschte Papiere zu kommen und wollte wahrscheinlich einfach nur den Krieg überleben. Die Ehrenfelder Gruppe wuchs langsam aus Deserteuren und KZ-Flüchtlingen sowie einigen Jugendlichen der Nachbarschaft und begann bewaffnete Einbrüche. Die Gruppe war Fluktuationen unterworfen, ein paar dauerhafte Mitglieder waren: Hans Steinbrück, Peter Hüppeler, Roland Cornelius Lorenz, Josef Moll, Johann Müller, Bartholomäus Schink, Franz Rheinberger, Wilhelm Kratz, Gustav Bermel, Adolf Schütz, Heinrich Kratina und Günther Schwarz.
Laut Mathias von Hellfelds Buch: Edelweißpiraten in Köln bildeten den »festen Kern der Ehrenfelder Gruppe (...) die Edelweißpiraten um Hans Steinbrück«[69], er behauptet, dass Johann Müller, Gustav Bermel, Franz Rheinberger, Bartholomäus Schink, Günther Schwarz und Adolf Schütz Edelweißpiraten gewesen sein, nennt jedoch nur für Gustav Bermel eine Quelle, ein Interview mit Gustl Butt. Laut Bernd-A. Rusinek waren lediglich Schink und Rheinberger Edelweißpiraten gewesen und dies nur vorübergehend. Schink selbst sagte in einer Vernehmung: »Mir gefiel das Treiben nach einiger Zeit nicht mehr, und ich habe mich aus diesem Kreis zurückgezogen, wobei ich auch ‚Bubbes‘ dazu bewegte, nicht mehr dort hin zu gehen.«[70], dies kann natürlich zum Selbstschutz gewesen sein, doch wurde er nicht wegen den Edelweißpiraten vernommen, sondern wegen der Ehrenfelder Gruppe.
Tatsache ist, dass die Ehrenfelder Gruppe nicht als typische Edelweißpiratengruppe an sich gesehen werden kann. Es waren Großteils wie erwähnt Deserteure und KZ-Flüchtlinge, die auf Raubzug gingen und damit wenig gemeinsam hatten mit den Jugendlichen aus dem Arbeitermilieu, aus denen sich die Edelweißpiraten meist rekrutierten.
Doch am Ende waren die Edelweißpiraten – ungeachtet ihrer nominellen Stärke in der Gruppe – nur Jugendliche und es klingt unglaubwürdig den Edelweißpiraten einen übermäßigen Einfluß auf die Handlungen der Steinbrück-Gruppe zuzugestehen, schließlich waren die meisten Mitglieder wesentlich älter als die Edelweißpiraten und auf Grund ihrer Vergangenheit auch erfahrener.
Es ist eher zu vermuten, dass die Jugendlichen von Hans Steinbrück fasziniert waren, von seinem Ruf als „Bombenhans“ und vielleicht auch von der Möglichkeit Waffen zu benutzen. Bei Steinbrück ist zu vermuten, dass er vorhatte sich bei einer eventuellen Zwangsevakuierung, bei der er als Flüchtling zwingend entdeckt worden wäre, wegen des Vormarsches der Alliierten gegen die Gestapo zu Wehr zu setzen. Folglich kann die Steinbrück-Gruppe nicht als Radikalisierung des Widerstandes der Edelweißpiraten angesehen, sondern muss getrennt betrachtet werden, da kaum Ähnlichkeiten zu normalen Edelweißpiratengruppen bestehen.
Eine Haupttätigkeit waren verschiedene Raubzüge, die in ihren schlimmsten Falle die Versorgungslage der Bevölkerung beeinträchtigen, was eventuell auch als Widerstandshandlung betrachtet werden kann. So stahlen sie in einem Butterlager Butter, den sie für 123.000 Reichsmark auf dem Schwarzmarkt verkauften[71], Butter war zu dieser Zeit ein höchst wertvolles Gut, so konnte man in Köln zehn Pfund Butter für zehn Zentner Kartoffeln eintauschen.[72]
Mit dem Geld wurden vor allem Waffen gekauft, anfangs »zur Selbstverteidigung oder in Notwehr, das war reiner Selbsterhaltungstrieb, es war ja nichts so, daß da geplant umgelegt wurde. Aber wenn du gestellt wurdest von denen, dann ging nichts anderes, als sich freizuschießen oder selbst draufgehen.«[73] berichtet Wolfang Schwarz in einem Interview. Doch die Waffenkäufe gingen weit darüber hinaus, so brachte »alleine Hans Steinbrück (...) für Waffenkäufe 12.000 RM auf.«[74] So entstand auch die einzige nennenswerte Verbindung zu den Edelweißpiraten, da Jean Jülich, ein Edelweißpirat, berichtet »Nach kurzer Zeit fragte mich Rheinberger, ob ich ihm Waffen besorgen könnte.«[75] Alles was er besorgen konnte war jedoch ein Sprengapparat. Jean Jülich selbst zog sich später zurück, als ihm das Ausmaß der Ehrenfelder Gruppe bewusst geworden ist. So bestand Steinbrücks Interesse an den Edelweißpiraten nur so weit, wie sie Waffen besorgen konnten. Doch nahm er seine Ware von allen, teilweise wurden auch von SS-Leuten oder Wehrmachtsangehörigen Soldaten gegen Zigaretten o.a. eingetauscht.
Eine Widerstandsaktion stellt das Verstecken zweier Jüdinnen da, eine Tat Steinbrücks, die jedoch von ihm allein und selbstständig erfolgte und damit nicht zum Handeln der Ehrenfelder Gruppe zählt.
Ein Rätsel stellt eine Tat Rheinberges und Schinks dar. Angeblich haben sie am 20.4.1944 einen Zug mit einem Hemmschuh entgleisen lassen, als Geschenk zum Führergeburtstag. Bernd-A. Rusinek berichtet jedoch, dass Schink Rheinberger erst im Juni 1944 kennengelernt haben soll[76], außerdem gäbe es keine Berichte über einen entgleisten Zug zu dieser Zeit. Außerdem stellt er die Glaubwürdigkeit dieser Tat in Frage, da Rheinberger vom RAD zurückgestellt wurde, weil er zu schwach sei, aber trotzdem einen Hemmschuh getragen haben soll. Da ein Hemmschuh dieser Zeit jedoch nur etwa 8kg wog, müsste es möglich gewesen sein.
Eine Widerstandsaktion wäre die sogenannten Flugblätterphase, in der Fleischauer, ein aus dem KZ entflohener Kommunist, vorschlug Flugblätter zu drucken und zu verteilen. Jedoch wurde der Plan nur soweit verfolgt, als das Papier für den Druck geholt wurde, weil Steinbrück dagegen war.
Bezeichnend ist der Versuch der Gruppe ein Schwein zu stehlen, wobei Steinbrück und ein anderer versucht hatten eine Frau zu erschießen, weil sie um Hilfe schrie, als sie die Diebe sah. Also waren sie durchaus auch zu Gewalt gegen hilflose Zivilisten fähig und nicht nur gegen die Gestapo, was darauf schließen lässt, dass der Überlebenstrieb der primäre Antrieb war.
Am Wichtigsten sind jedoch zwei Pläne, zum einen das Sprengen des sogenannten El-De-Hauses, dem Gestapo-Sitz in Köln und zum anderen das Verhindern von Sprengungen kriegswichtiger Brücken durch die deutsche Wehrmacht. So zitiert von Hellfeld ein Mitglied der Gruppe: »daß … (wir) uns zum Ziel gesetzt hatten, alles zu tun, um den Krieg möglichst schnell zu Ungunsten Deutschlands zu beenden. Aus diesem Grunde hatten wir beschlossen, kriegswichtige Betriebe, Bahnanlagen zu sprengen, um den Nachschub an der Front zu stören.«[77] Dies wäre natürlich eine Handlung des Widerstands gewesen, doch auch hier erblickt man wieder die Intention den Krieg zu überleben, in diesem Fall indem man ihn schnell beendet. Weder Ersteres noch Zweiteres kam je zustande.
Am 29.9.1944 fand eine Heeresstreife bei Cäcilie S. ein
Waffenlager, mit Dingen wie MPs, Munition, Granaten, ein Sprengsatz, Gasmasken,
also einer geradezu militärischen Ausrüstung. Cäcilie S. wurde weiter nichts
getan, aber natürlich observiert, um auf die Täter zu warten. »Es folgen jedoch
weitere Razzien und Verhaftungen. Bis Mitte Oktober werden insgesamt 63
Personen festgenommen, die von der Gestapo dem engeren und weiteren Umfeld der
Steinbrück-Gruppe zugeordnet werden«[78],
von diesen werden am 10.11.1944 um 8 Uhr dreizehn erhängt, darunter »die fünf
Jugendlichen Barthel Schink, Franz Rheinberger, Gustav Bermel, Adolf Schütz und
Günther Schwarz.«[79]
Weder ein Edelweißpirat noch ein Mitglied der Ehrenfelder Gruppe bekam im Sinne des BEG[80] eine Entschädigung zugesprochen. Ausnahmen sind Wolfgang Schwarz, der wegen seiner jüdischen Abstammung berücksichtigt wurde und Peter Hüppeler: »Die Anerkennung wird aufrechterhalten. Begründung: Der Ehemann der Antragstellerin war als aktiver Antifaschist in den sog. „Ehrenfelder Fall“ verwickelt. Er (...) wurde am 10.11.1944 mit 12 weiteren Kölner Antifaschisten in Köln-Ehrenfeld öffentlich erhängt«[81] Diese Antwort ist ohne Bewertung des Inhalts sehr interessant, da Bartholomäus Schinks Familie, der am selben Tag als Mitglied derselben Gruppe erhängt wurde, keine Entschädigung erhielt, weil er »mit ziemlicher Sicherheit als Mitglied einer Verbrecherbande erkannt und verhaftet wurde«[82] Ebenso heißt es in einem Schreiben an Bundespräsident Carstens, »nach den Feststellungen der Entschädigungsbehörden handelte es sich jedoch bei der Gruppe, der Schink angehört hatte, um eine kriminelle Bande.»[83]
Michael Jovy, Jean Jülich und Karoline B. wurden zwar auch nicht als Edelweißpiraten von der Bundesentschädigungshörde berücksichtigt, dafür aber von Yad Vashem, der bedeutendsten jüdischen Gedenkstätte, als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt.
Waren die Edelweißpiraten Widerstandskämpfer? Für eine Antwort ist jedoch eine weitaus präzisere Fragestellung notwendig, die Edelweißpiraten als Widerstandskämpfer zu bezeichnen, ist in etwa als würde man z.B. sagen, die katholische Jugend waren Widerstandskämpfer, ohne die zahlreichen und teilweise tiefgreifenden Unterschiede zu beachten.
Kurt Schilde zieht das Fazit »von einer Widerstandsbewegung kann aber nicht gesprochen werden.«[84] Doch ist das Problem wahrscheinlich, dass man allgemein schlecht von einer Bewegung sprechen kann, ob Widerstands oder nicht, denn dazu ist die Diskrepanz viel zu hoch, es gab die bereits erwähnten Freiwilligen für die Waffen SS, ebenso wie die Einzelerscheinungen wie der »propagandistische(n) Aktion von fünf Flugblättern, die nachts die Parole „Hitler verrecke“ an Häuserwände malten und Flugblätter verteilten.«[85] oder einiger Edelweißpiraten, die verantwortlich »waren (...) für die Verteilung von Flugblättern umstürzlerischen Inhalts, für das Anmalen antifaschistischer Parolen. Rufe wie „nieder mit Hitler“, „macht Schluss mit dem Krieg!“ wurden hier laut.«[86]
Zu erwähnen ist auf jeden Fall auch die sogenannte „Arbeitsbummelei“, ein Straftatbestand im Dritten Reich für langsames Arbeiten oder unentschuldigtes Fehlen. Diese „Bummelei“ erstreckte sich bei manchen auf über 100 Stunden in einem halben Jahr und verursachte damit ernsthafte Schäden in den Betrieben und behinderte folglich auch die Kriegsindustrie. Jedoch ist es schwer zu sagen, inwieweit diese Behinderung als Widerstandsaktion gegen das Reich gedacht war. Ein Bericht eines Werkleiters gibt eine gute Einsicht, wie hoch die Schäden teilweise waren: »Allein diese 1400 Stunden der 15 Jugendlichen ergeben theoretisch errechnet einen Produktionsausfall von ca. 400.000 kg Zinkblech, doch dürfte sich diese Zahl verdoppeln, da die Walzkolonnen eine geschlossene Einheit bilden.«[87]
Was einem Großteil der Edelweißpiraten zugesprochen werden kann, ist der Tatbestand des sogenannten Nonkonformismus, indem sie sich gegen die Disziplinierung der HJ und damit indirekt gegen das dritte Reich stellten und sich weigerten, sich in dieses System einzufügen. Die Edelweißpiraten wehrten sich nur gegen die totale Bestimmung über ihr Leben, sie bekämpften nicht das System. Wie z.B. Schink: »Barthel wollte das gar nicht, man hat ihn da ein bißchen reingezogen. (...) hätte man ihm seine Gitarre gelassen, er hätte sie heute noch. Er hätte niemals eine Pistole in die Hand genommen«[88] Sie sahen sich nicht als Gegner, doch das System erkannte sie sofort als solche an und begann die Verfolgung, damit wurde ihnen der Widerstand aufgedrängt, insofern kann man sie gemäß der heutigen Widerstandsdefinition als Widerstandskämpfer bezeichnen. Jedoch tut sich hier das Problem der Verallgemeinerung auf, da man sie Widerstandskämpfern gleichstellt, die ihr Leben riskiert haben um die Unmenschlichkeit des NS-Regimes zu beenden.
Das größte Problem bei der Bewertung stellt der Widerspruch im Verhalten der Edelweißpiraten zurzeit des NS und der Zeit nach dem Krieg dar. Hinsichtlich dieser Tatsachen, sind die Edelweißpiraten eventuell am besten als anarchistische Gruppierung zu erfassen, die sich einfach gegen jegliche Art der Obrigkeit stellt, unabhängig von deren Form. Doch auch hier ist natürlich die Diskrepanz zwischen den verschiedenen Gruppen zu beachten.
Die Ehrenfelder Gruppe zu bewerten fällt schwerer als bei den Edelweißpiraten. Wie im vorherigen Kapitel ausgeführt, ist die Ehrenfelder Gruppe nicht als Edelweißgruppe zu bezeichnen, trotzdem stellt sich auch für diese Gruppe die Frage: Widerstandskämpfer oder nicht?
Bezeichnet man sie nicht als Widerstandskämpfer, so muss man sich dem Bericht der Entschädigungsbehörden anschließen und sie als Verbrecher bezeichnen, denn ihre Verbrechen sind belegt. Die Frage, die sich jedoch stellt, ist, inwieweit Verbrechen gegen ein verbrecherisches Regime ein Verbrechen darstellt. Trotzdem ist oft davon auszugehen, dass mehr der Bevölkerung geschadet wurde, als dem NS, schließlich stellten größere Raubzüge, die im Zuge des Krieges sowieso knappe Versorgung noch weiter unter Druck.
Auch hier ist das Problem: Was ist Widerstand? Sie wollten den Krieg zu Ungunsten Deutschlands beenden, was auf jeden Fall einen Widerstandsakt darstellt, doch stellt sich die Frage ob man eine Gruppe als Widerstandsgruppe bezeichnen darf, deren Anführer selbst Nationalsozialist war, der gerne für die Gestapo gearbeitet hätte, also in keinster Weise den NS oder das System abgelehnt, es im Gegenteil sogar befürwortet hat, für das er eventuell sogar gearbeitet hätte, hätte er nicht diesen einen Fehler gemacht.
So lässt sich endgültig nur feststellen, dass es weder bei den Edelweißpiraten noch bei der Ehrenfelder Gruppe eine eindeutige Antwort gibt.
Bei den Edelweißpiraten widersprechen besonders die Fälle von Freiwilligenmeldungen zur SS oder Wehrmacht dem Anspruch eine Widerstandsgruppe zu sein. Bei der Ehrenfelder Gruppe sind es die Verbrechen und eine nicht zu bestimmende antinationalsozialistische Einstellung.
In Sachen Edelweißpiraten muss diese Frage für jede Gruppe anhand ihres jeweiligen Handelns einzeln gestellt wird, was auf Grund fehlender Aufzeichnungen nur in den seltensten Fällen möglich ist. In beiden Fällen hängt die Antwort ganz von der eigenen Definition des Begriffs „Widerstand“ ein, dem es trotz seiner immensen Bedeutung heutzutage an Eindeutigkeit fehlt.
[1] Siehe Anhang: Die
Gedanken des Hollarius Z.10-12 (Anhang)
[2] Bernd-A. Rusinek II “Jugendwiderstand
und Kriminalität“ S. 373 Z. 27-29
[3] Detlev Peukert: Edelweißpiraten S. 122 Z.36-38
[5] Hans Steinbrück, siehe
Kapitel „Ehrenfelder Gruppe“
[6] Noch unbekannt, Hellfeld
[7] Bernd-A. Rusinek II S. 371 Z. 23-25
[8] HStA-D; RW 58 – 64.727 nach Bernd-A Rusinek I „Eine
Gesellschaft in der Katastrophe“ S.79 Z.
17-18
[9] Alfons Kenkmann I „Wilde Jugend“
[10] Detlev Peukert
S. 37
[12] Ebenda Z.12-13
[13] SZ Artikel: „Disziplin ist keine Tugend“ Z. 25 (Anhang)
[14] Hans-Jürgen Koch: Wunschkonzert im NS-Rundfunk S.362
[15]Autor des Zeitartikels “Die gerechten Rüpel”
[16] Thomas Häusler: Die gerechten Rüpel Z.28-29 in:
Die Zeit vom 09.10.2008
[17] Ebenda Z.42-43
[18] Ebenda Z.44-45
[19] Kurt Schilde: “Jugendopposition 1933-1945” S.142
Z.22-23
[20] Ebenda S.142 Z.29
[21] Zur Erholung bzw. später zur Evakuierung vor
Flugangriffen
[22] Sozialistische Arbeiter-Jugend
[23] Alfons Kenkmann I „Wilde Jugend“ S.59 Z.3-8
[24] Aus der Rheinischen Landeszeitung vom 15. Februar 1936, HstA-Dü-G-61468
zitiert nach Detlev Peukert S. 31 Z.5-10
[25] Arno Klönne: „Jugend im Dritten Reich“ S. 245 Z. 8-10
[26] Alfons Kenkmann I S. 279
Z. 10-12
[27] Umgangssprachlich: Gitarre
[28] Volksliederarchiv: “An Rhein und Ruhr marschieren
wir” (Anhang)
[29] Peukert: S. 35 Z.11-14
[30] Alfons Kenkmann II „Najavos, Kittelbach- und Edelweißpiraten“ in „Piraten, Swings
und Junge Garde“ S. 143 Z. 2
[31] Peukert: S. 42 Z. 30-34
[32] Gestapo Düsseldorf 10.12.37, HStA-Dü-G 10740 zitiert nach Detlev Peukert
„Edelweißpiraten“ S.29 Z.1-6
[33] Lagebericht der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf,
undatiert (1943) Bundesarchiv Koblenz BA, Reichsjustizministerium (R 22), Bd.
1177, Bl. 452-459
[34] Da die meisten EWP Jugendliche kurz vorm Erwachsenenalter waren
[35] Alfons Kenkmann III „Edelweißpiraten zwischen Stalingrad und
Währungsreform“ S. 116 Z. 14-16
[36] Rede siehe auch Grafik G1 (Anhang)
[37] Siehe Gesetz an die Hitlerjugend §1 (Anhang)
[38] Bernd-A Rusinek II S. 371 Z. 3-5
[39] Arno Klönne S. 24 Z.15-17
[40] NWHStAD, Rep.112/18705, Bl. 312 zitiert nach Alfons Kenkmann: Wilde Jugend
S. 257 Z. 7-8
[41] Kurt Schilde S. 138 Z. 12-13
[42] Lagebericht der Stapo-Leitstelle Düsseldorf, undatiert (1943( Bundesarchiv
Koblenz BA, Reichsjustizministerium (R22), Bd. 1177 Bl. 452-459 zitiert nach
Detlev Peukert S. 33 Z. 26-28
[43] Arno Klönne S. 21 Z. 1
[44] HstA-Dü-G 9213 Bl 15 ff zitiert nach Detlev Peukert S. 85 Z. 20 – S. 86 Z.
5
[45] Alfons Kenkmann S. 147 Z. 13-14
[46] HStA-D, RW 58 – 16.974 Hülle 205 zitiert nach Bernd-A. Rusinek I S.77 Z. 19-21
[47] Alfons Kenkmann I S. 256 Z. 4-5
[48] Alfons Kenkmann II S. 121 Z.11-12
[49] Alfons Kenkmann I S. 256 Z. 23 – S.257 Z. 1
[50] Ebenda S. 257 Z. 7-8
[51] BA, R 22/1177, Bl 514ff., 546 ff. zitiert nach Detlev Peukert S.
127 Z. 11
[52] Peukert S. 128 Z.23-27
[53] Ebenda S. 131 Z. 10-12
[54] Ebenda S. 132 Z. 5-7
[55] BA, R 22/1191, Bl.
583-586 zitiert nach Detlev Peukert S. 139 Z.17-22
[56] Arno Klönne S. 262 Z.
32-34
[57] Da „H“ der 8. Buchstabe
im Alphabet 88 -> HH = Heil Hitler
[58] Freie Deutsche Jugend,
seit 1951 in der BRD wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten
[59] Alfons Kenkmann I S. 271
Z.29 – S.272 Z.1
[60] Alfons Kenkmann III S.125
Z.6-7
[61] Alfons Kenkmann I S.300
Z. 9-12
[62] Ein von Heinrich Himmler
in den letzten Monaten des Krieges ins Leben gerufener Freischärlerverband, der
für Kriegsverbrechen wie die Penzberger Mordnacht verantwortlich ist
[63] Alfons Kenkmann III S.
126 Z. 17-18
[64] Alfons Kenkmann I S. 276
Z. 13 - 14
[65] Ebenda S.278 Z.22 – S.279
Z. 1
[66] Bernd-A. Rusinek I S.123
Z. 26
[67] Ebenda S. 124 Z. 33-34
[68] Ebenda S. 125 Z. 25
[69] Mathias von Hellfeld S. 14 Z. 28
[70] Bernd-A. Rusinek I S.182
Z. 1-3
[71] Ebenda
[72] Ebenda S.150 Z. 9
[73] Zitiert nach von Hellfeld
S.55 Z. 15-19
[74] Von Hellfeld S. 52 Z. 4-5
[75] Bernd-A. Rusinek I S.231
Z. 24-25
[76] Ebenda S. 184 Z 10-11
[77] Mathias von Hellfeld S.57
Z.39 – S.58 Z. 2
[78] Steinbrück fliegt auf Z.
34-35
[79] Hinrichtungen in
Köln-Ehrenfeld Z. 2
[80] Bundesentschädigungsgesetz
[81]Entschädigungsakte P. Hüppeler vom 20.6.1950 Az.14-I/6b – 80959
zitiert nach von Hellfeld S. 90 Z. 27-32
[82]Entschädigungsakte B. Schink vom 16.April 1962
Azl. 17.I/6b – ZK.: 91497 zitiert nach von Hellfeld S.90 Z. 20-21
[83] Bernd-A. Rusinek I S. 17
Z. 8-9
[84] S. 148 Z. 27-28
[85] Kurt Schilde S.144 Z.
31-32
[86] Arno Klönne S. 269 Z.
29-32
[87] Detlev Peukert S. 92 Z.
3-6
[88] Nach Interview mit
Karoline Bauten, zitiert nach Mathias von Hellfeld S25 Z. 22-27