— 110 —
in Weiß, ruhig, düster und majestätisch, eine Binde über
den Augen, in der Linken die Wage, in der Rechten
das Schwert.
Zu ihren Füßen stand in großen Goldlettern das
unverständliche Wort: l'UNAI»,
Lichert hatte schon damals seinen Verteidiger fragen
wollen, was das bedeute; ob es Französisch se.i, oder der
Name vielleicht einer Heiligen, Über die sechs Iahre
Zuchthaus aber, die ihm diktiert wurden, hatte er dann
das Rätsel dieser goldglänzenden Buchstaben wieder ver-
gessen. . .
Und da blinkte ja noch etwas Goldnes, was ihn jetzt
magisch anzog, wie der Blick eines Basilisken: der Knauf
an dem wuchtigen stahlblauen Schwert! Der Knauf und
die Klinge weissagten ihm nichts Gutes. Heiß, wie vom
Auf» und Niederkrabbeln glühender Ameisen, ging es ihm
über den Rücken. Die guten Lehren seines Verteidigers,
der freundliche Zuspruch, er solle nur ruhig und klar
bleiben und Alles genau so erzählen, wie es gewesen sei,
dann werde er freikommen; kurz, jegliche Mahnung und
Warnung sank ihm in's Dunkel absoluter Vergessenheit.
Er sah nur noch das Schwert, und, wenn sich sein Blick
mit Gewalt von dem schimmernden Knauf losrang, da
drüben den Richtertisch, von dem ihm ja neulich schon
ein fo fürchterliches Verdikt geworden. Die wahnwitzige
Angst des Naturmenschen überkam ihn, der, einmal in
die Maschinerie der Iustiz verwickelt, sich auch für zer-
malmt hält.
Sein Verteidiger trat auf ihn zu,
„Fassen Sie Mut, Lichert!" flüsterte er mit eiuer
Geberde des Vorwurfs. „Die ganze Zeit über waren