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sie sich wohl nicht die entsprechende Einsicht zu, teils
auch hielt sie ein heimliches Grausen ab, der Hirnschale
des Getöteten so unmittelbar in die Nahe zu kommen.
Herr Gyskra hatte bei der Bemerkung des Osteologen,
er teile bezüglich des mutmaßlichen Werkzeugs nicht ohne
weiteres die Ansicht des Herrn Gerichtsarztes, heimlich
gezittert. Ietzt zum ersten Mal packte ihn der bis dahin
zurückgedrängte Gedanke: Wenn Licherts Unschuld erkannt
wird, — was ist dann die Folge? Die Wiederaufnahme
der polizeilichen Thätigkeit, erneutes Prüfen und Wägen —
und schließlich vielleicht die Entdeckung der Wahrheit!
Er schauderte. Einen Moment gewann es den Anschein,
als sollte ihn die so mühsam behauptete Selbstbeherrschung
verlassen. Dann aber zwang er sich zur Vernunft.
Alles war ja bis in die äußersten Winkel der Einzel»
heiten durchforscht worden. Doktor Kretschmar hatte mit
einer Findigkeit und Rastlosigkeit, die Herrn Gyskra
manchmal in Aufruhr versetzten, jede nur irgend denkbare
Eventualität in's Auge gefaßt und trotz seines detektiv-
artigen Scharfsinns doch nur Anhaltspunkte für die Schuld-
losigkeit Licherts, nichts aber aufgefunden, was ihm
die Spur des wirklichen Thäters auch nur von fern hätte
weifen können. . .
Nein: wenn die Verhandlungen hier nach Wunsch
ausgingen, so durfte Herr Gyskra hoffen, daß die ver»
zweifelte Spannung der letzten Tage für immer gelöst
sei. Es wuchs dann Gras über die Sache, und der Fall
Burckhardt gehörte zu den vielen unaufgeklärten Fällen,
von denen die Polizei Annalen moderner Großstädte auf
jedem Blatt zu berichten wissen.
Eine für Lichert günstige Wendung ward erst erreicht