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„Schön," murmelte Herr Gyskra, immer noch blätternd.
Hellmuth gewann so die nötige Zeit, den Schreck zu
verwinden. Es war also nicht der Prozeß des Christian
Lichert, von welchem sein Vater hier sprach, sondern der
jenes unglückseligen Mädchens . . . Gott sei Dank! Den
Eindruck dieser Minute wünschte Hellmuth seinem ver»
werflichsten Feinde nicht. Er hatte im Geist seinen Vater
plötzlich verwandelt gesehn; die zärtliche Liebe erstarrt,
die Milde wie ausgelöscht! Der Mann hatte vor ihm
gestanden wie die verkörperte Pflicht, die personisicierte
Gerechtigkeit, die das Schwert nicht umsonst trägt!
Nach langer Pause wandte sich der Ober»Staatsanwalt
um. Rein geschäftsmäßig teilte er seinem Sohn die
Bedenken mit, die ihm aufgetaucht waren, den Widerspruch,
den er in den Depositionen der beiden Gerichtsärzte eut»
deckt hatte. Er sprach mit großer Ausführlichkeit, leise
zwar, um nicht die nächtliche Ruhe des Hauses zu stören,
aber außerordentlich rasch.
Hellmuth las in dieser ungewöhnlichen Raschheit nur
den Eifer des Überangestrengten, während Herr Gyskra bei
alledem nur den Zweck verfolgte, nicht merken zu lassen,
was ihn bewegte, und die Gespenster zu scheuchen, die
ihn unausgesetzt mit der Schrecknis des Irrsinns bedrohten.
Sobald sein Vater ihm Zeit ließ, gab Hellmuth ihm
die gewünschte Aufklärung.
„Ich will Dir das morgen ganz genau zu Papier bringen,"
sagte er aufatmend. „Alles hab' ich so nicht im Kopf."
„Ich danke Dir! Gute Nacht!"
„Gute Nacht!"
Die Rechte des Sohnes legte sich eine Sekunde lang
in die Rechte des Vaters. Keiner von beiden zitterte.
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