— 221 -
„Das bist Du auch, — eine Diebin! Du stiehlst
mir die Ehre!"
Sascha machte noch einmal Halt.
„Vater, es steht geschrieben: ,Ihr Eltern, reizt eure
Kinder nicht zum Zorne!' — Du bist ungerecht, Vater.
Du lassest mich gar nicht zum Worte kommen... Du
weißt ja nicht einmal, wo ich gewesen bin..."
„Brauch' ich auch nicht zu wissen! Du bist durch»
gegangen wie eine Spitzbübin. Mach', daß Du fort»
kommst! Und wenn Du mal hörst, ich sei plötzlich zu
Grunde gegangen, so darfst Du Dir sagen, Du bist die
Mörderin!"
Krachend schlug er das Fenster zu.
Sascha stand wie betäubt. — Mechanisch hielt sie den
Griff des Handkoffers mit der Rechten umspannt. — Die
Linke preßte sich auf die Stirn, wo es pochte und hämmerte.
Dann schritt sie zum Thore hinaus.
Nach zehn Minuten setzte sie sich, der Verzweiflung
nahe, auf eine schneeȟberpolsterte Bank.
Und es schneite und schneite — immerzu, als wollte
der Himmel heut' noch die ganze Erde unter dem Druck
dieser wirbelnden Massen ersticken. Sascha lehnte sich
seufzend zurück. — Eine Müdigkeit überkam sie, ein Schlaf-
bedürfnis, dem sie fast unterlag. — Ihr Verstand fagte
ihr: ,Wenn Du hier sitzen bleibst, wirst Du erfrieren.
Die süße Schlaffheit, die sich Dir jetzt auf die Nerven
legt, ist nur die Lockung des Todes!' — Aber ihr Wille
besaß nicht die Kraft mehr, um diefer Einsicht zu folgen. —
Eine unendliche Gleichgültigkeit trat an die Stelle ihrer
bisherigen Kämpfe... Es war ihr zu Mut, als liege
das Alles Iahre, Iahrzehnte lang hinter ihr . . . Nichts