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sonst! — Er verwickelte sich sogar ein paar Mal in Wider-
sprüche. Zwar verbesserte er dieselben sofort und ent-
schuldigte sie mit dem Ausruf: .Wenn man so ewig gefragt
wird. . .!' Immerhin blieb es nicht ohne Einfluß auf die
Geschworenen, daß jener Unbekannte bald ,gar nicht zu
sehn', bald Mittelgroß', bald .stämmig und klein^ gewesen
sein sollte, — anderer Mißgriffe nicht zu gedenken.
Nur vier Personen wußten oder waren doch fest da-
von überzeugt, daß Lichert die Wahrheit sprach: Herr
Gyskra, Hellmuth, Doktor Kretschmar und — Balduin
Teutschenthal.
Mit krumpfendem Herzen, äußerlich aber gefaßt und
vom Hauch seiner ewig zur Schau getragenen Würde um-
spielt, saß dieser halb schon zum Narren gewordene
Streber, dessen Loblied vorhin sogar die Straßenweiber
gesungen hatten, hinter dem breiten Rücken des Oberst
von Rheuß und folgte den Worten Licherts mit siebernder
Spannung.
„Trug der Mann einen Bart?" fragte der Vorsitzende.
„Ich glaube, ja," gab Lichert zur Antwort.
Balduin Teutschenthal hatte in diesem Moment das
Gefühl, als müßten die Augen Aller sich auf fein glatt-
rasiertes, volles Gesicht heften, wo noch vor wenigen
Wochen der graue, altfränkisch gestutzte Maurerbart ihm
das Kinn und die Wangen umrahmt hatte. Er wußte
nicht, sollte er jetzt besonders aufmerksam oder gleichgültig,
ernst oder lächelnd, wohlwollend oder ironisch aussehn.
Dem Himmel sei Dank: die unbegrenzte Achtung, die er
genoß, schützte ihn ja einstweilen gegen das Anschwirren
dreister Verdachtpfeile! Aber beklemmend, qualvoll, atem-
beraubend blieb dies widerliche Verhör denn doch. . .!