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Doktor Kretschmar warf ihm einen langen, prüfenden
Blick zu.
Eine Sekunde lang blitzte ein Zweifel ihm auf . . .
Wenn der Mensch da Komödie spielte, so spielte er
meisterhaft! Und es kam ja doch vor, daß ein tückischer
Zufall die Schein »Beweise so eigentümlich gruppierte . . .
Gleich darnach aber entsann er sich mehrerer Fälle
aus seiner Praxis, — glühendster Unschuldsbeteurungen mit
Thronen und Herzkrämpfen, heißer Gebete, lammfrommer
Ergebenheit, die sich auf Gott berief, den Erleuchter der
Finsternis und Enthüller der Wahrheit . . . Diese Ein-
drücke waren ebenfalls nicht ohne Wirkung auf ihn ge»
blieben, und schließlich dennoch in nichts zerflossen. In
all diesen Fällen, die ihm jetzt vorschwebten, war das
Geständnis während der Hauptverhandlung erfolgt, oder
doch bald nach der Verurteilung. Ungeschulte Natur»
menschen haben, gerade weil sie nicht reflektieren, oft ein
größres Verstellungstalent als der Gebildete.
„Lichert," sagte er nach kurzem Besinnen, „Sie
täuschen mich nicht! Trotzdem verspreche ich Ihnen, die
Sache genau mit dem nämlichen Eifer zu führen, als ob
ich von Ihrer Schuldlosigkeit überzeugt wäre. Was ich
hier glaube und meine, kommt ja nicht in Betracht.
Nur wiederhole ich Ihnen: klug und verständig handeln
Sie nicht! Ich fürchte, Ihr Schicksal nimmt eine böse
Wendung!"
Hiermit verließ er die Zelle.
Lichert blickte ihm nach wie einem Gespenst, das
langsam in die Erde versinkt. Er hörte von draußen
den Schlüssel klirren, den Gruß des Gefängniswärters, der
dem Rechtsanwalt so gleichmütig eine gesegnete Mahlzeit