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dann den Vater durch Gift vom Leben zum Tod gebracht
haben sollte. Die Volksstimine, die freilich ebenso häusig
irrt wie der Einzelne, war diesmal der Angeschuldigten
günstig. Es hieß, die ganze Geschichte sei lediglich auf
den Klatsch heimlicher Neiderinnen zurückzuführen. Den-
noch hatte der Thatbestaud die Einleitung einer gericht-
lichen Untersuchung gerechtfertigt.
Mit dem Stift in der Rechten begann Herr Gyskra
zu lesen. —
Ie mehr er sich in die Akten vertiefte, um so klarer
empfand er die ungewöhnliche Schwierigkeit dieser Aufgabe.
Die sachlichen Umstände sprachen entschieden zum Nachteil,
die persönlichen mit der gleichen Entschiedenheit zu Gunsten
des jungen Mädchens. — Vor Allem fehlte ein glaub-
würdiges, ja nur halbwegs annehmbares Motiv für die
That. — Sämmtliche Zeugen stimmten darin überein, das
Verhältnis der Tochter zu ihren Eltern sei das herzlichste
von der Welt gewesen. — Ihre Lehrer und der Geist-
liche, der sie eingesegnet, bürgten für ihre Unschuld, trotz
der scheinbaren Evidenz gewisser Constellationen. — Im
übrigen jedoch häuften sich die Indicien beinah' erdrückend.
Die Vergiftung war durch arsenige Säure erfolgt. Die
einzige Möglichkeit — wenn die Beschuldigte nicht den
beiden Opfern das Gift eingeflößt hatte — war die,
daß die Getöteten felber die Urheber der Katastrophe waren,
sei's in verbrecherischer, beziehungsweise selbstmörderischer
Absicht, sei es durch irgend ein grobes Versehen oder in
falscher Handhabung des Giftes als eines Stärkungs» und
Verschönerungsmittels. Die vereidigten Ärzte leugneten —
teils auf Grund des Sektionsbefundcs, teils mit Rücksicht