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Das beifällige Nicken auf der Geschworenenbank wieder-
holte sich. Der Oberst von Rheuß wandte sich lebhaft zu
seinem Nachbarn, dem jungen Kollegen Kretschmars, was
eine ebenso lebhafte Bewegung Balduins zur Folge hatte.
Der Mann schien die sixe Idee zu haben, fein Rückgrat
müsse mit dem des Obersten unausgesetzt parallel bleiben.
Doktor Kretschmar fuhr fort:
„Meine Herren Geschworenen! Sie werden die Auf-
gabe der Verteidigung nicht etwa deshalb für unvollständig
gelöst halten, weil ich nicht auch im Stande gewesen bin,
die Persönlichkeit jenes Gecken zu eruieren, den der Herr
Vorsitzende mehrfach ironisch als den , großen Unbekannten'
bezeichnet hat. Ebenso gut könnten Sie mir die Frage vor-
legen: ,Ia, wer ist denn nun eigentlich der Verbrecher,
dem die Tötung des Malers Burckhardt zur Last fällt?' —
Die Beantwortung diefer Frage wird eventuell die Aufgabe
einer neuen, von dem Fall Christian Lichert gänzlich ge-
sonderten Untersuchung sein. Hundert Fälle sind ja hier
denkbar, meinetwegen sogar die Möglichkeit eines Raub-
mords; nur das steht fest: der Angeklagte Christian Lichert
kann diesen Mord nicht begangen haben,"
Der Ober »Staatsanwalt, der bis jetzt seine wilde
Genugthuung über den unverkennbaren Erfolg Kretschmars
glücklich bemäntelt hatte, fühlte, als der Verteidiger hier
von dem wirklichen Thäter sprach, ein so stürmisches Herz-
pochen, daß er nach Luft rang.
Da er bemerkte, daß einige von den Geschworenen
zu ihm herüber sahen, zwang er sich krampfhaft zu einem
verzweifelten Lächeln, halb schon gewiß, durch diese ein-
zige unbewachte Sekunde sein fürchterliches Geheimnis ver-
raten zu haben.