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stimme sang das Lied „Dein ist mein Herz" — und
immer öder, immer trostloser sank das Dunkel über die
einsame Zelle.
Ietzt klang es wie Tanzmusik — so wohlbekannt und
so traulich, ganz wie Sonntags im „Roten Kruge" zu
Kronheim. . .
Ach, könnte er noch ein einziges Mal die glückselige
Zeit zurückrufen, wo er sorglos und ohne Furcht vor der
Zukunft die himmlische Luft atmete und am geöffneten
Fenster den jauchzenden Vaaren zuschaute, die sich da
rings um die Linde drehten!
Wie unvergleichlich schön und bezaubernd lebte das auf
in seiner Erinnerung ... So klar, und so greifbar . . .!
Wenn er die Augen schloß, sah er ja alles in vollem Glanz
wieder vor sich, — den blauen Himmel, das maigrüne
Laub, die drallen Dirnen mit den schwellenden Miedern
und den Blumen im Haar .. .
Da regte sich etwas über der Zellenthür.
Ein gelblicher Schein zuckte auf: man hatte von
draußen hinter der eisen « vergitterten Scheibe das Gas
angezündet.
Grausam zeigte ihm das fluckernde Licht die schaurige
Wirklichkeit: die kahlen getünchten Wände, den Eschenholz-
tisch, den kleinen eisernen Ofen, der jetzt schwarz und erstorben
in seiner Ecke stand, als wolle auch er dazu beitragen, die
Öde dieser furchtbaren Einsamkeit zu erhöhen.
Und Lichert, aus seiner Starrheit erwachend, legte
die breite Stirn auf das abgegriffne Gesangbuch. Die
Muskeln seines gewaltigen Rückens schauerten auf und
nieder. Er weinte, wie ein verlassenes Kind.