nachgedacht hatte, die Schuld, die man ihm beimaß, gar
so schrecklich erschwerte, so siel ihm doch jetzt wieder ein,
was Doktor Kretschmar ihm nach der Verurteilung aus»
einandergesetzt hatte: daß ein Gesetz nämlich nicht nur
den größeren oder geringeren Grad von Schlechtigkeit,
sondern auch die Gemeingefährlichkeit des Thäters im
Auge habe...
Licherts Betrachtung wandte sich mehr und mehr dem
Vergangenen zu. Noch einmal rief er sich ins Gedächtnis
zurück, wie das alles gekommen war. Er fühlte, wie sich
sein Trotz und sein Haß gegen die Richter, die ihn
verurteilt hatten, allgemach löste. Früher schon hatte er
seine That ja bereut' jetzt bereute er auch die verzweifelte
Rebellion gegen sein Schicksal.
So hatte es kommen müssen!
Wie oft hatte ihm seine selige Mutter gesagt: ,Leg'
deinen Zorn ab und deine blinde Gehässigkeit, wenn dir
mal einer zu nah' kommt! Du bringst dich ins Unglück!'
Nun war dies Wort in Erfüllung gegangen!
Gut, daß die alte Frau nicht mehr lebte! Es hätt'
ihr das Herz zerstückt, ihren einzigen Sohn, den sie so lieb
hatte, nun als Schuft und Verbrecher zu sehen, mit
einer Zukunft voll Iammer, Schande und Elend!
Übrigens war's ja doch immer ein Gnadenglück,
daß man die junge Beschließerin noch im letzten Moment
hatte retten können! Wäre sie wirklich dahin gewesen, er
hätte, weiß Gott, keine ruhige Sekunde mehr auf Erden
gehabt, selbst wenn er dem Zuchthaus entgangen wäre!
Lichert warf sich schwer über den Tisch, drückte sein
derbes Gesicht wider den Unterarm und schluchzte zum
Herzbrechen.