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nur für das Schicksal des armen Lichert, sondern auch
für den Ruf des aufstrebenden Advokaten, daß Frau
Doktor Kretschmar das Ihre dazu beitragen wollte, um
ihren Gatten so schlacht» und kampfgerüstet wie möglich
zu machen. Sie hatte ihm zwar versprochen, punkt halb
acht ihn zu wecken, gab jedoch, als sie sah, wie ruhig er
auf Grund dieser Zusage schlief, noch einige dreißig
Minuten zu und fetzte ihm dann ein verlockendes Früh»
stück vor, bestehend aus den erquicklichsten Delikatessen, die
sich ein nüchterner Magen gefallen läßt. —
,Iß, Robert! Trink, Robert!« hatte sie unaufhörlich
gemahnt. ,Ieder Schluck Portwein kommt deinem Klienten
zu Gute! Und das Alles ist ja so leicht! l^Isnuz vLuter —
das Sprüchwort hast Du mir oft genug vorlamentiert!
Ich mach' ja ein förmliches Studium daraus, Dir das
Kräftige nur im Extrakt zu reichen! So ist's recht!
Komm, stoß' mit mir an! Unser Klient soll leben! Denn,
nicht wahr, diesmal ist er doch ganz bestimmt unschuldig?'
Kretschmar hatte gerade noch Zeit gehabt, nach Schluß
dieses Gabelfrühstücks dem hübschen, runden, beweglichen
Frauchen den Mund zu küssen und dann auf den Flügeln
eines Zweimarkstücks, das er dem Kutscher versprach,
durch die feucht»frostigen Straßen zu rollen. Die Himmels»
bläue, die sich inzwischen mehr und mehr aus den zer»
flatternden Wolkenschleiern hervordrängte, schien ihm ein
ebenso günstiges Vorzeichen, wie das letzte flotte .Glück
auf!' feiner Gattin,
Der Kutscher bekam einen Thaler. Die Akten unter
dem Arm wandte sich Kretschmar der großen Treppe zu.
„Der Verteidiger!" klang es im Publikum.
„Schad' um den prächtigen Menschen!" meinten die