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Das passierte ihm selten. — Nie Gedanken, die ihn beschäf-
tigten, mußten ihn ganz besonders in Anspruch nehmen .,.
Von neuem setzte er seine Cigarre in Brand und qualmte,
als hätte er das Versäumte hier gut zu machen. Es lag
etwas auf ihm, — heimlich, undesinierbar, und zwar hing
dieses Etwas durchaus nicht mit den Akten zusammen,
die dort auf dem Schreibtisch seiner Durchsicht gewärtigten.
Er schloß ein wenig die Augen.
Seine Erinnrung kehrte jetzt immer ausgesprochner
zu der sechsten Nachmittagsstunde zurück, ins Cafe Reichs-
kanzler, wo er zuweilen Rast hielt, wenn er von dem
Iustizgebäude nach Hause ging . . .
Dort hatte er heute Doktor Kretschmar, den Verteidiger
Licherts, getroffen und an dem gleichen Tisch mit ihm
Platz genommen.
Das Gespräch war naturgemäß auf Kretschmars
Klienten verfallen. — Der Ober»Staatsanwalt hatte
erzählt, daß er die Anklageschrift dem Präsidenten der
Strafkammer bereits übermittelt habe; — und hieran
knüpfte der Rechtsanwalt eine Eröffnung, die Herrn Gyskra
anfangs nur mäßig frappierte, jetzt aber, in der Ein-
samkeit seines Arbeitszimmers, eine andre Beleuchtung
gewann und ihm Veranlassung gab, den ganzen Fall,
den er in seiner Anklageschrift so deutlich und übersicht-
lich gegliedert hatte, noch einmal durchzudenken.
„Herr Ober»Staatsanwalt," hatte Kretschmar gesagt,
„ganz im Vertrauen: für die Hauptverhandlung habe ich
eine Überraschung in petto. Ich werde Zeugen benennen,
deren Aussage klärlich erhärtet, daß Burckhardt an jenem
Nachmittag keine drei Mark in der Tasche trug."
Herr Gyskra hatte zunächst mit einem etwas gleich»