Other Fiction Düringsfeld, Ida von: Novellen und kleine Romane. V1 [German] 23.12.2022

[brucewelch]

Ida von Reinsberg-Düringsfeld (1815-1876) schrieb zahlreiche, zu ihrer Zeit viel gelesene Novellen, Romane und Reisebeschreibungen.
Das eBook enthält eine Zusammenstellung von sechs ihrer Bücher, die ihre Entwicklung von einem noch spätromantisch beeinflussten Schreibstil im Vormärz (1840er Jahre) bis hin zu einer realistischen Diktion in den 1850/60er Jahren zeigt.

Folgende Bände sind enthalten:

Schloß Goczyn (1841)
Marie (1842)
Graf Chala (1845)
Clotilde (1855)
Norbert Dujardin (1861)
Hendrik (1862)

Die originalen Druckausgaben brachten es insgesamt auf 1050 Seiten.

Spoiler:

Theodor Pyl hat seinerzeit in einem Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie (1889) behauptet, die Werke der Verf. aus den 1840er Jahren "beruhen weniger auf eigener selbständiger Erfindung, als auf einer, sei es bewußten oder unbewußten Nachahmung der Gräfin Hahn, insofern sie nach ihren Gegenständen und Gedanken, sowie nach ihrer Sprache den Kreisen der Aristokratie entnommen sind, jedoch mit dem Unterschiede, daß die Gräfin Hahn wirkliche Erlebnisse schildert, und bei ihrem höheren Alter eine vielseitige Erfahrung und einen weiteren Gesichtskreis besitzt, während I. v. D. dieser Vorzüge entbehrt, und deren Mangel durch gelehrte Excurse und gemachte Tragik zu ergänzen sucht." Ich halte dies für ein krasses Fehlurteil. Wer die z.T. ziemlich abgedrehten seraphischen Volten einer Hahn-Hahn für den Stoff hält, aus dem die Düringsfeld ihre Literatur gewonnen haben soll, verkennt die durchaus realistischen Grundzüge ihrer Erzählweise, die bereits ihre frühen Erzählungen charakterisieren (so z.B. die auf der Kenntnis ökonomischer Zusammenhänge beruhende Darstellung der Nöte mancher Adligen in "Schloß Goczyn"), ebenso wie die deutlichen Anzeichen eines auf Selbstbestimmung und Emanzipation ausgerichteten Frauenbildes (siehe "Marie", wo das patriarchalisch eingenordete Muttersöhnchen Graf Solms das Nachsehen hat). Dabei fällt auf, dass sie von Anfang an schwierige Charaktere studiert, ohne über einen von ihnen den Stab zu brechen. Das Einflechten von Lyrik hat dabei illustrative Funktion und geht z.B. im Falle von "Marie" (welcher autobiographische Bezüge innezuwohnen scheinen) so weit, dass ein ganzes Versepos ("Abderrahman") mit enthalten ist. - In der in Antwerpen spielenden Novelle "Hendrik" wiederum scheut die Autorin sich in ihren realistischen Bestrebungen nicht, umfänglichere Beschreibungen von Sitten, Gebräuchen und Geschichte Belgiens mit einfließen zu lassen - die Erzählung nimmt zeitweise sachbuchähnliche Gestalt an und verlässt sich nicht mehr allein auf illudierende Muster. Schon "Graf Chala", aber auch "Clotilde" und "Norbert Dujardin" wirken wie literarische Versuchsanordnungen, innerhalb derer menschliches Verhalten beobachtet und erforscht wird; und dazu steht der Autorin ein feiner psychologischer Spürsinn zu Gebote.
Es scheint, dass das Verdikt Pyls über die vermeintliche Nachahmung der Hahn-Hahn Spuren hinterlassen hat, besser: alle Spuren verwischt hat, denn nachdem in der mächtigen "Allgemeinen Deutschen Biographie" ein solches Urteil fixiert war, brauchte man sich mit I.v.D. nicht mehr zu beschäftigen. - Weder Killys Literaturlexikon noch Ernst Alkers ›Dt. Literatur des 19. Jh.‹, die doch manch entschieden weniger bedeutenden Autor bespricht, kennen die Verfasserin. - Diese Ausgabe gibt nun die Möglichkeit, sie wieder zur Kenntnis zu nehmen.

Das eBook entstand durch GoogleBooksKorrekturLesung. Layout und Orthographie der Originale blieben erhalten; dies erklärt auch unterschiedliche Rechtschreibnormen, die von Band zu Band mit den Zeiten und Druckorten variieren. Den Anspielungsreichtum versuchen 100 Anmerkungen zu erhellen. Das Cover bietet eine zeitgenössische Ansicht von Antwerpen, wo (wie erwähnt) die Novelle "Hendrik" spielt. Das Ehepaar Reinsberg-Düringsfeld hat sich längere Zeit in Belgien aufgehalten, was literarisch in mehreren Texten seinen Niederschlag fand ("Norbert Dujardin" z.B. ist ebenfalls Belgier.).

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