Other Fiction Spielhagen, Friedrich: Stumme des Himmels. V2 [German] 28.1.2018

[brucewelch]

Es handelt sich bei "Stumme des Himmels" (1895, ein Jahr vor "Effi Briest"; im Original 465 Seiten) von Friedrich Spielhagen um einen melodramatischen Liebes- und Gesellschaftsroman, der in Norderney beginnt und über Berlin schließlich nach Pommern führt (daher das Cover, welches ein typisches Rittergut dort, nämlich Starnitz, um 1860 zeigt).

Spoiler:

Die weibliche Hauptfigur Eleonore, eine gebildete und begabte junge bürgerliche Frau, der in ihrem Leben denn doch bestenfalls die Stellung einer Governess bei einem englischen Lord offensteht, beschreibt ihre Situation so:

Ah, dies schreckliche, dies zermalmende Bewußtsein der Ohnmacht, wenn die Phantasie nach allem Höchsten und Schönsten greift, und man fühlt, daß es kein leerer Traum wäre, wenn die elende Wirklichkeit die Kraft, die sich da in Kopf und Herz regt, nicht zur Thatenlosigkeit verdammte! (IV, 1)

Sie sieht dies mit kritischem Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse:

Ich bin keineswegs der Meinung, daß die Ordnung der Gesellschaft, wie sie nun einmal besteht, überall zu Recht besteht und, wer im Besitz ist, immer auch im Recht ist. Ich bin der Meinung, daß das wahre Recht vielfach geknebelt ist und Sklavendienste leisten muß, wo es herrschen sollte. (I, 11)


Den Titel "Stumme des Himmels" erklärt Eleonore in III, 3:

Ein Wort von Jean Paul. Er nennt so die Menschen, denen kein Gott gab zu sagen, was sie leiden; ja, die nicht einmal für ihre Freude zur rechten Zeit den rechten Ausdruck finden ... diese Himmelsstummen sind eigentlich Poeten, denen, was andern zum Segen, zum Verhängnis und Fluch wird, eben weil sie stumm sind und sich von der Qual des ewigen Brütens über eine Welt, die ewig ungeschaffen bleibt, nicht lösen können ... von der Poesie nur das bittere Leid kostend, ohne je ihrer süßen Lust teilhaftig zu sein, klammern sie sich an die Liebe, stürzen sich in die Liebe, von der sie Rettung hoffen, ja, die ihnen ein Höheres dünkt, als die Poesie selbst, weil sie das Leben poetisch zu verklären, die Poesie zur Wirklichkeit zu verdichten scheint. Nur daß es eben ein Schein ist! ein trügerischer, elendiger Schein! Nur daß das Leben sich einzig erhalten kann, wenn es sich auf Schritt und Tritt zu kläglichen Kompromissen herbeiläßt und mit feiger Klugheit den Konsequenzen aus dem Wege geht, welche die Poesie frei und frank zieht und eben darin und dadurch Poesie ist.

Das Werk kann sicher nicht ganz mit Fontanes "Effi Briest" konkurrieren, arbeitet aber durchaus mit einem ähnlichen symbolistischen Verweisungszusammenhang und verhält sich auch gegenüber den Figuren in einer gewissen episch-ironischen Distanz.

Der Text wurde auf der Basis der GoogleBooks-Korrekturlesungsmethode [] nach der 5. Aufl. von 1898 erarbeitet. Evidente Druckfehler sind stillschweigend berichtigt, Inkonsistenzen der Schreibweise dagegen beibehalten. - Was die Namen "Nantje" und "Jantje" im ersten Buch betrifft, so handelt es sich weder um verschiedene Personen noch um Druckfehler oder gar um Verwechselungen des Autors. Beide Rufnamen gehören zu derselben Person; es sind variierende niederdeutsche Koseformen von "Johanna".

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