Welches Buch lest Ihr denn gerade?

[Gudy]

*seufz* Knapp daneben ist auch vorbei. Oberflächlich betrachtet, macht Radley Black mit seiner S/F-Zeitreise-Erzählung Fury ja nicht viel falsch. Die beschriebene post-singulare Zukunft ist interessant und konfliktreich genug, um als Basis für einen soliden Roman herzuhalten, das Zeitreise-Modell ist plausibel genug ohne in die Falle der Beliebigkeit hereinzufallen, die sich mit dem Multiverse-Modell ergeben würden, und die beiden Protagonisten sind schön gegensätzlich.

Und trotzdem will das Ganze nicht so richtig in die Gänge kommen. Im Detail erweist sich die aufgebaute Welt als unstimmig, der eine Protagonist als zu passiv und der andere als zu genial/allwissend. So vergibt der Autor hier viel Spannungs- und Spekulationspotential. So ganz aufgeben möchte ich die Geschichte trotzdem nicht. Ich werde wohl vorerst die nächsten Kapitel weiterlesen, sobald der Autor sie veröffentlicht, aber die anfängliche Begeisterung ist schon ein klein wenig der Enttäuschung gewichen.

[Gudy]

So, nachdem alle anderen anscheinend nur noch im Lese-Challenge-Thread schreiben, richte ich mich hier häuslich ein. :-P Außerdem wird es Zeit für meine jährliche Ostseeurlaub-Nachlese.

Die vor ewigen Zeiten angefangene Romance of Lust habe ich aufgegeben. Letztlich konnte der endlose - und sich dann doch endlos wiederholende - Sex die Schwächen der Erzählung nicht ausgleichen.

Open Minds, der erste Teil von Susan Kaye Quinns Mindjack-Trilogie hat mir dagegen gut gefallen. Hier werde ich wohl mal Ausschau nach den restlichen Büchern halten. Die Welt ist interessant gestaltet: die Menschheit ist aufgrund globaler Verschmutzung der gesamten Lebensmittelkette zu Gedankenlesern geworden, so dass jetzt (fast) alle die Gedanken (fast) aller nicht nur lesen können sondern in Vollzeit aufgedrückt bekommen, sofern sie nur in Reichweite sind. Die Auswirkungen sind logisch konsequent fortgeführt, insbesondere auch (aber nicht nur) was den Kern der Erzählung, nämlich die Ausnahmen von dieser Regel betrifft, von denen einige nämlich aktiv die Gedanken der Bevölkerungsmehrheit beeinflussen können aber den anderen verschlossen bleiben. Das ganze liest sich flüssig und bleibt spannend bis zum Schluss, auch wenn es im Detail durchaus vorhersehbar ist.

Mit den Kurzgeschichten aus Cory Doctorows Sammlung A Place So Foreign And Eight More bin ich dagegen überhaupt nicht warm geworden. Die Handlungsfäden hören einfach irgendwie auf, ohne wirklich zu Ende geführt worden zu sein, einige der Welten sind so unheimlich wie sie - völlig erklärungsfrei - unlogisch sind, und wo mal einigermaßen interessante Welten errichtet werden, bleibt vieles von deren Potential ungenutzt. Da der Mann ja durchaus nicht unbekannt ist, bin ich nun maßlos enttäuscht und weiß nicht so genau, ob ich es mit seinen Romanen noch einmal probieren soll.

Da ging es mir mit den Kurzgeschichten von Garrett Randall, die ich davor gelesen hatte, deutlich besser - mit dem ersten Satz ist klar, dass der Leser es mit Golden Age SF zu tun hat, und wer damit zurecht kommt, weiß, wie es weitergeht und wird am Ende entsprechend belohnt. (Und wer mit Golden Age SF nichts anfangen kann, ist frühzeitig gewarnt. :-P ) Klare, schnörkellose Erzählweise paart sich hier mit klassischen SF-Weltentwürfen und der unausweichlichen Aha-Wende am Ende, oft verbunden mit einer Lektion in Moral. Ich mag so etwas ja auch nicht immer und auf Dauer, aber wenn's passt, dann passt's, und Randall versteht sein Handwerk eindeutig. Je nach Lust und Laune werde ich mich also weiter durch seine Geschichtensammlungen arbeiten.

Bleibt zum Schluss noch, Steve Jordans As the Mirror Cracks zu erwähnen. Mit der Geschichte bin ich nun zu etwa einem Drittel durch und finde die Sache gut gemacht und interessant. Die Mischung aus Superhelden, Krimi und Fast-Singularität in einer virtuellen Welt, welche zunehmend in die reale Welt integriert wird, fand ich zu Anfang etwas merkwürdig, aber das Ganze nimmt schnell an Fahrt auf, bleibt, was die IT-Grundlagen betrifft, auf dem Boden und liest sich flüssig. Ich hatte mir vor inzwischen acht Jahren mal zehn Bücher von Jordan für zehn Dollar gekauft, und komme nun endlich dazu, mal eines davon zu lesen. Umso mehr freut es mich, dass der Kauf anscheinend kein Fehlgriff war. :-)

[Marrella]

Mit Cory Doctorow werde ich auch nicht wirklich warm. Seine Ideen sind nicht schlecht, aber die Umsetzung gefällt mir meist nicht besonders. Little Brother fand ich ganz gut, aber es hat mich anscheinend nicht so begeistert, dass ich mich gleich auf die Fortsetzung gestürzt hätte, die ich irgendwann in einem Humble Bundle als Zugabe bekommen habe.

Und dass wir hauptsächlich im Challenge-Thread schreiben, liegt daran, dass zumindest fast meine komplette Lektüre dort hineinpasst.

[hamlok]

Originally Posted by Marrella

Und dass wir hauptsächlich im Challenge-Thread schreiben, liegt daran, dass zumindest fast meine komplette Lektüre dort hineinpasst.

Das ist bei mir ähnlich.

Ich muss aber auch sagen, dass ich inzwischen lieber bei allesebook.de und lesen.net schreibe, weil man hier kaum noch Resonanz auf die eigenen Beiträge bekommt.

[Marrella]

Originally Posted by hamlok

Ich muss aber auch sagen, dass ich inzwischen lieber bei allesebook.de und lesen.net schreibe, weil man hier kaum noch Resonanz auf die eigenen Beiträge bekommt.

Ditto. Hier ist doch insgesamt ziemlich tote Hose, um es mal auf den Punkt zu bringen. Das ist schade, ich bin nämlich gerne hier.

[beachwanderer]

Ich pendele gerade zwischen

Fontane, Theodor: Kriegsgefangen. Erlebtes 1870. (1871)[German] V.1 - 23.Jul.2015, aufgearbeitet von bathop

einer sehr interessanten Beschreibung eines mir bisher ganz unbekannten Abschnitts aus Fontanes Leben

und

Hans Christian Andersens "Reiseschatten — von einem Ausfluge nach dem Harz, der sächsischen Schweiz im Sommer 1831" bereit gestellt von Frodok.

Bei Andersen reizt natürlich, sowas über so einen weiten Zeitabstand hinweg mit eigenen Beobachtungen zu vergleichen.

[beachwanderer]

Auf feedbooks bin ich über eine sehr nette Schilderung (engl.) gestolpert, die Robert Louis Stevenson vom Sommer 1880 in Kalifornien gibt. Dort quartierte er sich mit Frau Fanny und Stiefsohn Lloyd über dem Napa Valley bei Calistoga am Mt. Saint Helena in dem verlassenen Arbeitercamp einer stillgelegten Silbermine ein.

Laut engl. Wikipedia war das zugleich die "Hochzeitsreise" und Stevenson versuchte, nach einer der periodisch eintretenden Verschlechterungen seiner Lungenkrankheit in der Bergluft wieder auf die Beine zu kommen.

Nach dem Namen der Mine und der zeitweiligen Besetzung derselben durch die Familie heißt die Erzählung ganz programmatisch "The Silverado Squatters". (Link)

Ich habe für Stevensons Reiseliteratur immer etwas übrig gehabt und insofern fügt sich diese "Stationärliteratur" (es ist eben weniger ein Reise- als ein Ortsbericht) sehr gut ein.

Man lernt dabei auch, dass es für (manche) Leute, die mit dem Tod durch Tuberkulose, Lungensarkoidose oder was auch immer kämpfen, wichtiger ist, gute Luft zu haben als gehörigen Abstand zu Klapperschlangen ...

Wer also nichts gegen Hinterwald und Hinterwäldler, die Trägheit an einer abgelegenen Mautstation und ausführliche Schilderungen des bis in die Kalifornischen Berge ziehenden Pazifikseenebels hat, dem sei dieses Meisterstückchen empfohlen.

[Gudy]

*seufz* Manchmal glaube ich ja, Indy-Literatur hätte einen besseren Ruf, wenn Indy-Autoren es regelmäßiger schaffen würden, die Dienste eines ordentlichen Lektorats in Anspruch zu nehmen. Da ich weiß, was so etwas kostet, habe ich Verständnis für diesen Mangel, bedaure ihn aber trotzdem.

Kid Wiggers Flight of the Code Monkey hätte richtig gut sein können. Die beiden so grundverschiedenen Handlungsstränge (einer in einer primitiven Jäger- und Sammlergesellschaft angesiedelt, der andere in einem interplanetaren Forschungs- und Katografierungsschiff) die doch irgendwie zusammengehören, die mehrschichtigen Handlungsstränge, die Charaktere, alles schick und ganz meine Wellenlänge.

Nur hätte dem Autor schon vor Jahren mal jemand eindringlich klar machen können, dass er nicht nach Wortzahl bezahlt wird. Leider ist Flight of the Code Monkey aber eines der schlimmsten Beispiele von Logorrhö, die ich je gesehen habe: ein Info-Dump jagt die nächste Ausschweifung und nichts geht so richtig vorwärts. Herrgott, die Story ist 5 MB groß und wir haben immer noch keine Ahnung, was genau los ist und wie genau die beiden Handlungsstränge zusammengehören. Eine Streichung von 75 bis 80 Prozent des Textkörpers hätte dem Lesevergnügen gut getan...

Abgesehen davon - und als ob das nicht schon schlimm genug wäre - habe ich konzeptionelle Probleme mit einer Welt, die mehrere Jahrhunderte in der Zukunft angesiedelt ist, in der interplanetare Erforschung zwar spannend und aufregend aber trotzdem irgendwie ein Routinevorgang ist, und in dem die Leute vorzugsweise mit Waffen herumlaufen, die aus dem 20. Jahrhundert kommen. Ernsthaft? So viel technischer Fortschritt, und ausgerechnet bei den Schusswaffen sind Colt M1911, AK-47 und Steyr AUG immer noch das Non-Plus-Ultra?! Nee, lass mal gut sein.

[beachwanderer]

Habe ich das oben irgendwo schon einmal erwähnt? Egal, jedenfalls bin ich -wieder- einmal auf DEN Schlüssel zu den aktuellen Titeln der Jahre 1927 bis 1932 zurückgekommen (der nicht in erster Linie deshalb interessant ist sondern vor allem wegen der fantastischen "Schreibe" des Verfassers ):

Tucholsky, Auf dem Nachttisch, Rezensionen in der "Weltbühne",
aufbereitet von Hokuspokus für MR hier.

[Gudy]

Originally Posted by Gudy

Bleibt zum Schluss noch, Steve Jordans As the Mirror Cracks zu erwähnen. Mit der Geschichte bin ich nun zu etwa einem Drittel durch und finde die Sache gut gemacht und interessant.

Und das blieb auch bis zum nun erreichten Schluss so. Gut, das eine oder andere Detail war vielleicht ein bisschen zu vorhersagbar - insbesondere die "reale" Identität einiger der wichtigeren Figuren in der virtuellen Mirror-Welt waren dann, ebenso wie das Ende, doch zu einfach zu erraten. Trotzdem hat die Geschichte von Anfang bis Ende Spaß gemacht und - was für mich fast genauso wichtig ist - einige interessante Denkanstöße gegeben.

[bathop]

Dörte Hansen, "Altes Land" kann ich allen empfehlen, die nicht an Fantasy, Krimi, Romance oder alte oder wenig bekannte frühere Autoren ihr Leseinteresse hängen oder ihr Herz verloren haben.
Hardcover-Version oder Ebook? Verschenken kann man (leider noch immer) Hardcover leichter, aber vielleicht wird's ja mal.

[Gudy]

Military S/F kennt man ja - dieses Sub-Genre, das Baen reich gemacht hat, in dem sich vorwiegend rechts-libertäre Waffennarren mit militärischem Hintergrund herumtreiben und das trotzdem immer mal wieder Bücher hervorbringt, die mir gefallen. Monster Hunter International von Larry Correida ist das Dark Urban Fantasy-Äquivalent dazu: Reichlich Gun Porn, massenhaft Untote und eine große Portion "der Staat ist doof" machen den Kern des Buches aus. Dazu kommt ganz nebenbei eine Liebesgeschichte, die sogar zu versprechen droht, plot-relevant zu sein!

Trotz der erheblichen Schwächen (der ich-erzählende Protagonist ist mir ein klein wenig zu nah an Marty Stu, etliches ist zu vorhersehbar und der Anfang schwächelt ein wenig, auch wenn er den Leser zusammen mit dem Protagonisten mitten ins Getümmel wirft), kommt die Geschichte mit einigen schicken Ideen und einer guten Portion teilweise recht schwarzen Humors daher, so dass ich mich gut unterhalten fühle. Allerdings auch wieder nicht gut genug, um nun unbedingt Ausschau nach weiteren Büchern des Autors oder in diesem Geschichten-Universum zu halten.

[Gudy]

Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß an einem Buch wie mit Fire With Fire von Charles E. Gannon. Interessante, komplexe Charaktere, eine vielschichtige und ebenso komplexe Handlung, und das ganze in einem Universum, das mit Ausnahme von Cryo-Schlaf und Raumschiffen mit FTL-Antrieb auf plausiblen Extrapolationen heutiger Technologie beruht. Zumindest was die menschliche Seite betrifft...

Dass Gannon hier trotz der engen Verwandschaft zur Military-SF die in dem Bereich sonst all zu häufigen Pauschalwertungen ganzer Spezies, Nationen und Glaubensrichtungen sein lässt und im Gegensatz zu bekannteren Vertretern des Genres *hust*JohnRingo*hust* die fremdsprachlichen Zitate korrekt wiedergibt, rechne ich ihm ebenfalls hoch an. Da bin ich dann auch gewillt, ihm zu verzeihen, dass sich das Buch über weite Strecken wie ein moderner Action-Film liest: schnelle Schnitte, viele Perspektiv- und Kamerawechsel, ein ständiges Hasten von einer Aktion zu nächsten und in all der Ruhe wenig Raum für den Leser, das Geschehene zu Reflektieren. Vorteil Buch: man kann hier einfach mal pausieren und sich selbst diesen Raum verschaffen - einen Film einfach anzuhalten wirkt dagegen auf mich immer irgendwie störend.

Und ein wenig Reflexion ist angebracht. Gannon hat das Buch mit interessanten und teilweise provozierenden Ideen ebenso vollgestopft wie mit zweifelhaften und moralisch fraglichen Aktionen seiner Protagonisten. Das Nachdenken lohnt also. Wenn schon moderne S/F, dann so. :-)

Sobald ich meinen Baen-Stapel "abgearbeitet" habe, werde ich mich hier wohl nach den Folgebänden umsehen.

[Gudy]

Timothy Zahns Cobra, das ich heute Abend zu Ende gelesen habe, fand ich nun wiederum nicht so besonders. Die Handlung war aufgrund der Kapitelüberschriften weitgehend vorhersehbar aber auch unabhängig davon zu simpel und fade. Die Charaktere, allen voran der Protagonist, waren durchgehend so geradlinig und einfach angelegt, dass an der Richtung der jeweils nächsten Handlungsschwerpunkte kaum jeweils Zweifel aufkamen. Das eine oder andere unterhaltsame Detail gab es zwar auch, aber immer nur auf den Nebenschauplätzen, und auch dort nur vereinzelt. Was schade ist, Zahn ist ja in S/F-Kreisen kein völlig unbekannter, und so hatte ich mir ganz ehrlich von diesem Buch ein wenig mehr erhofft. So bleibt nur ein vages Gefühl der Enttäuschung und der unbestimmte Eindruck, dass man aus der Kernidee auch hätte mehr machen können.

[Marrella]

Cobra habe ich vor einiger Zeit in einem Bundle bekommen und als "muss ich nicht gleich dringend lesen" eingestuft. Deine Einschätzung scheint das zu bestätigen, Gudy.

Tja, ist ja nicht so, als ob ich nicht genügend andere Bücher zu lesen hätte... Trotzdem schade.