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Old 10-10-2011, 02:33 AM   #1
praetor
Skeptiker
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Faszinierende Mogelpackung

Hallo allseits!

Was meint Ihr? Kann man das so schreiben? Fehlt ein wichtiger Gesichtspunkt (Wörterbuch-Thema habe ich weggelassen)? Oder steht da etwas gaaaaanz doofes drin?

gruß
praetor


Eine faszinierende Mogelpackung

Wer in den letzten Wochen im Internet einmal die Seiten des Gemischtwaren-Versandhändlers Amazon besucht hat, der wird auf Werbung für den neuen Kindle -- »Kleiner, schneller, leichter / Mit deutschem Menü« gestoßen sein. Es handelt sich dabei um ein Lesegerät für sogenannte elektronische Bücher (ebooks). Die Versprechen klingen vollmundig: »Lesen wie auf echtem Papier« und »Tausende kostenloser Klassiker«.

Nun ist bereits mehrfach erfolglos versucht worden, solche Geräte in den Markt einzuführen, Die sind alle in der Versenkung verschwunden. Kritikpunkte waren stets: zu schlechte Lesbarkeit der Texte, zu teure und unhandliche Geräte, fehlende Online-Anbindung, zu kurze Akku-Laufzeiten, zu komplizierte Handhabung von Rechtebeschränkungen und Kopierschutzsystemen und schließlich ein zu geringes Angebot an Büchern und Texten für diese Geräte.

An allen diesen Punkten wurde gearbeitet. Die neuen Geräte setzen auf sogenannte elektronische Tinte (eInk). Die funktioniert so, daß die Pixel durch kleine zweifarbige Kügelchen oder Plättchen dargestellt werden, die durch einen einmaligen elektrischen Impuls auf schwarz oder weiß geschaltet werden und dann in dieser Position verharren. Eine Hintergrund- oder sonstige Bildschirmbeleuchtung ist nicht erforderlich. Die Anzeige ist, wie bedrucktes Papier, rein reflektiv. Das Bild bleibt ohne weiteren Energieverbrauch «stehen«. Dadurch ist der Energieverbrauch im Vergleich zu einer herkömmlichen Flüssigkristallanzeige (LCD) extrem gering. Der Hersteller bemißt die durchschnittliche Akkulaufzeit nicht nach Stunden oder Tagen, sondern nach Monaten.

Amazon hat den Preis für sein neuestes Gerät unter die 100-Euro-Marke gedrückt. Es kann sich mit drahtlosen Datennetzen (WLAN) verbinden. Etwas teuerere Varianten können sich über das Mobilfunknetz mit dem Portal des Online-Händlers verbinden, und zwar für den Kunden kostenfrei.

Das Problem mit dem lästigen Kopierschutz hat Amazon durch die enge Verbindung von Gerät und Handelsplattform gelöst. Wer von Amazon ein elektronisches Buch (oder was auch immer) kaufen will, muß sich vorher anmelden. Das Lesegerät macht das automatisch. Diese Anmeldung gilt auch als Authentifizierung für das Rechtemanagement, so daß ein Kunde von dem Kopierschutz gar nichts merkt, solange er die Datei nicht weitergeben oder auf einem anderen Gerät verwenden will.

So weit, so gut. Nachdem der Autor dieser Zeilen in Amazons Online-Shop tatsächlich für fast sämtliche Klassiker Angebote für kostenlose elektronische Bücher (Kindle Edition) fand, hat er sich dem Selbstversuch unterzogen und so ein Gerät geordert. Nach einer etwa einwöchigen Wartezeit wurde es geliefert. Die Verbindung mit dem WLAN funktionierte problemlos. Das Gerät verband sich -- nach einmaliger Eingabe der Zugangsdaten -- automatisch mit der Handelsplattform und der Zugriff auf die »tausenden kostenlosen Klassiker« stand offen.

Aber zunächst zur technischen Seite: Die Versprechungen zur »elektronischen Tinte« sind nicht übertrieben. Kontrast und Auflösung sind nicht ganz so groß wie auf bedrucktem Papier, aber die Schrift ist sehr gut lesbar. Das Gerät ist etwa so groß wie ein klassisches Taschenbuch, nur 8 mm dick und mit 170 Gramm ziemlich leicht. Es liegt gut in der Hand. Auf beiden Seiten (rechts/links) befinden sich je zwei wohlplazierte Tasten zum Vor- und Zurückblättern. Der Seitenaufbau war auch bei großen elektronischen Buchdateien (z. B. vollständige Bibel) schnell und flüssig. Mit dem Gerät ist tatsächlich ein flüsssiges Lesen auch langer Texte möglich, viel angenehmer und komfortabler als an einem herkömmlichen Bildschirm.

Aber es gibt auch ein paar Einschränkungen: Elektronische Bücher stellen Texte als HTML dar. Das ermöglicht Hyperlinks (Textverweise), Einbindung von Bildern, individuelle Einstellung der Schriftgröße, aber z. B. keine echten Fußnoten, keine Kopfzeilen, Initialen nur mit Einschränkungen und keine festen Seitenzahlen. Außerdem ist die Auswahl der verfügbaren Schriftarten begrenzt. Elektronische Bücher sind nicht oder allenfalls eingeschränkt zitierfähig.

Das Gerät hat keinen berührungssensitiven Bildschirm (Touchscreen). Navigation und Texteingabe funktionieren nur über die Tastatur. Dafür hat es unterhalb des Bildschirms fünf Tasten, eine kombinierte Navigations- und Auswahltaste, und je eine für Startseite/Buchauswahl, Menü, Bildschirmtastatur ein-/ausblenden und »Zurück«. Wohlwollend könnte man anmerken, das Gerät sei so einfach wie ein herkömmliches Telefon. Weniger wohlwollend müßte man feststellen, daß die Texteingabe über die Bildschirmtastatur jedesmal eine Geduldsprobe und ziemlich umständlich ist. So ist es zwar möglich, zum Text Anmerkungen zu schreiben und zu Speichern, aber es ist unpraktikabel, Ebenso verhält es sich mit dem Durchsuchen des jeweilen Buches nach Stichworten oder Textabschnitten.

Um innerhalb des elektronischen Buches einigermaßen akzeptabel navigieren zu können ist der Nutzer unverzichtbar auf eine auch technisch abgebildete Strukturierung des Textes (Markierung der Überschriften) und ein ausführliches Inhaltsverzeichnis angewiesen und damit kommen wir zur Mogelpackung: Die kostenlosen Klassiker der Kindle-Edition sind ausnahmslos die reinen Texte ohne jede Strukturierung und ohne Inhaltsverzeichnis. Damit sind sie für den Leser weitestgehend unbrauchbar. Um die Texte in brauchbarer Form zu bekommen, muß man also andere Ausgaben kaufen und würde jedenfalls für »tausende Klassiker« abertausenede Euronen an Amazon zahlen müssen -- eine mit erstaunlicher Dreistigkeit irreführende Werbung, die vermutlich noch juristische Nachspiele haben wird.

Natürlich gibt es auch sehr viele gut aufbereitete elektronische Buchausgaben. Die Preise reichen von € 0,99 bis zum Neupreis der Druckausgabe. Natürlich schlagen bei den Billigausgaben alle Mängel, die ans-tändige deutsche Verlage schon immer bemängelt haben, voll zu Buche. Sie enthalten oft keine klare Angabe darüber, aus welcher Quelle der Text stammt, kein ordnungsgemäßes oder gar kein Impressum und bleiben so mehr oder minder dubios. Das muß fürs reine Schmökern im Zug kein Nachteil sein, aber für eine ernsthafte Beschäftigung mit einem Werk ist es das durchaus.

Der Nutzer des Kindle ist nicht auf das Amazon-Angebot beschränkt. Er kann auch elektronische Bücher aus anderen Quellen auf sein Gerät laden und damit lesen. Dafür muß er keinen großen technischen Aufwand betreiben, aber es bleibt in jedem Fall umständlicher, als einen 1-Click-Knopf zu drücken.

Das Problem der fehlenden festen Seiten und Gestaltungsmöglichkeiten von elektronischen Büchern aufgrund ihrer HTML-artigen Formatierung könnte man mit PDF-Dateien lösen. Die müßten aber für jede Bildschirm- (und Schrift-) größe extra kompiliert werden und eine interne Navigation über Hyperlinks enthalten.

Am Ende bleibt die Freude über ein für seinen eigentlichen Zweck, das reine Schmökern, faszinierend gut geeignetes Stück Technik, verbunden mit dem etwas herben Beigeschmakk, von einem Monopolisten in eine ziemlich plumpe Falle gelockt worden zu sein (die Rückgabefrist ist noch nicht abgelaufen).

Last edited by praetor; 10-10-2011 at 02:47 AM. Reason: Tippfehler
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